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Allgemeines
Titel: Im Sturm der Echos
Autorin: Christelle Dabos
Verlag: Insel Verlag (21. Juni 2020)
Genre: Fantasy
Seitenzahl: 613 Seiten
Weitere Bände: Die Spiegelreisende 1-4 "Die Verlobten des Winters", "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" und "Das Gedächtnis von Babel"
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Inhalt
Risse überziehen die Welt der Archen. Einer jagt den nächsten, die Abgründe werden immer größer. Babel, Pol, Anima – keine der Archen bleibt verschont. Die Bewohner müssen ungläubig mitansehen, wie ihre Welt nach und nach auseinanderbricht. Um die unwiederbringliche Zerstörung der Archen zu stoppen, muss so schnell wie möglich der Schuldige gefunden werden. Muss »der Andere« gefunden werden. Aber wie? Wo doch niemand auch nur weiß, wie er aussieht?
Ophelia und Thorn sind so vereint wie nie. Zusammen begeben sie sich auf unbekannte Wege, wo sie die Echos der Vergangenheit und der Gegenwart zum Schlüssel all der Rätsel führen werden.
Bewertung
Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Geheimnisse, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. Der letzte Band, "Im Sturm der Echos" ist ein wendungs- und aufschlussreicher Abschluss der Reihe, der endlich alle Antworten auf alle Fragen bereithält, auf den 613 Seiten aber leider oft mehr verwirrt als begeistert...
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Nachdem wir in Band 3 nach Babel gereist sind und dort eine kosmopolitische Metropole vorgefunden haben, die sich vom Pol nicht mehr hätte unterscheiden können, hat nun der Weltuntergang begonnen und vom einst weltoffenen Anstrich der Arche ist nichts mehr übrig geblieben. Während sich die politische Lage in Babel immer weiter zuspitzt, die Arche gefährlich bröckelt und alles droht aus dem Ungleichgewicht zu geraten, ist es umso wichtiger, dass Ophelia und Thorn endlich das Geheimnis hinter Eulalia Gort, dem Anderen, den Echos und dem Riss zwischen den Welten ergründen, bevor es möglicherweise zu spät ist. Wichtige Antworten erhofft sie sich im Beobachtungsinstitut für Abweichungen, in das sie sich kurzerhand selbst einweist. Für den Finalband eine ausgesprochen vielversprechende Ausgangssituation, mit der man nicht viel falsch machen kann - dachte ich zumindest!
Ich hatte gehofft, in diesem finalen Band die restliche Welt zu sehen, die anderen Hausgeister kennenzulernen, Erdenbogen zu besuchen und Weltuntergangsluft zu schnuppern. Was wir hier auf 613 Seiten bekommen ist allerdings etwas ganz anderes. Da sich der Hauptteil der Handlung ausschließlich aus Ophelias Perspektive im Institut für Abweichungen abspielt, bekommen wir leider nur wenig von der Zuspitzung in Babel, geschweige denn den Vorkommnissen auf den anderen Archen mit. Statt das Tempo anzuziehen, den Weltuntergang darzustellen, alle aufwändig platzierten Figuren ins Spiel zu bringen und alle Trümpfe aufzufahren, verliert sich die Autorin leider wie schon so oft zuvor in einem eher zähen Mittelteil im Klein-Klein ihrer Ideen. Zwar ist die skurril-unheimliche Atmosphäre des an eine Horror-Psychiatrie erinnernden Instituts durchaus interessant, die Verbindung der Echos, Schatten, Verdrehungen sowie des Füllhorn-Projekts zum Großen und Ganzen der Handlung wird aber erst sehr spät deutlich, sodass man den vielen Theorien und Andeutungen nur halbherzig folgt.
Mit dem Wissen von Band 4 würde ich deshalb rückblickend für die gesamte Reihe urteilen, dass sie problemlos mit zwei, statt vier Bänden ausgekommen wäre. Band 1 und 2 bilden für mich eine Einheit, da sie ein ähnliches Setting, eine ähnliche Atmosphäre und ein festes Set an Figuren beinhalteten, hätten mit strafferem Plot aber gut zu einem Band zusammengefasst werden können. Genauso verhält es sich meiner Meinung nach mit Band 3 und 4, die beide in Babel spielen, neue Figuren einführen, einen ernsteren Erzählton sowie einen starken Fokus auf eine zweite Erzähldimension aufweisen und nur noch sehr wenig auf Band 1 und 2 aufbauen. Auch in diesen beiden Bänden gab es immer wieder Durststrecken, Längen und Wiederholungen, die wunderbar zu einem einzigen Spannungsbogen hätten vereint werden können. Stattdessen liest sich die Reihe nun wie zwei Dilogien, die aber ein wenig den Bezug zueinander verloren haben und diesen roten Faden findet die Autorin auch in diesem Finale leider nicht mehr.
Generell hatte ich an manchen Stellen das Gefühl, dass die Autorin selbst nicht genau wusste, wie sie ihre Geschichte ausgehen lassen möchte. Bereits in den früheren Bänden hat Christelle Dabos durch immer neue subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und stetig wechselnde Fragen für einen Dauerzustand aus Verwirrung, Spannung und halbgaren Theorien gesorgt. Dies treibt sie in "Im Sturm der Echos" allerdings nochmal auf die Spitze, in dem sie alle fünfzig Seiten alles umkrempelt, was man zu wissen glaubte. Dabei haben viele Wendungen für mich ganz wunderbar zusammengepasst und frühere Ahnungen bestätigt, wieder anderen schienen bei mir aber nicht so ganz zu klicken und haben mir beim darüber Nachdenken nur Kopfschmerzen beschert. Genaueres kann ich ohne zu spoilern leider nicht über die Handlung urteilen, doch nur so viel: Auch wenn die Inszenierung sowie die Auflösung am Ende aufwändig und wirklich gut gelungen ist, verstrickte sich die Autorin in zu viele Nicht-Erklärungen, um für mich einen wirklich guten Abschluss zu erzeugen. Das ist allerdings häufig in komplexen Fantasy-Reihen ein Problem, wenn über etliche Seiten hinweg Fragen und damit auch Erwartungen geschürt wurden, die am Ende alle zufriedenstellen auf wenig Platz beantwortet werden müssen.
Neben dem für mich etwas unklaren roten Faden und dem zähen Mittelteil fand ich außerdem schade, dass die Autorin keine Zeit findet, Ihr Worldbuilding vollständig auszunutzen. Über die Reihe hinweg entfernte sie sich immer mehr vom gemütlichen Fantasy-Setting hinzu einer politischen Steampunk-Welt, in der andere Dimensionen und Erzählebenen eine größere Rolle spielen als die tatsächliche Realität. So gibt es hier immer mehr Rückblicke in die Vergangenheit, Abschnitte von "Hinter den Kulissen", Zwiegespräche mit Echos, Spiegelbildern und schließlich der Besuch einer umgekehrten Welt - statt zu erklären und damit zu arbeiten, was sie bereits in ihrer Welt hat (die anderen Archen, das Weltenmeer, die anderen Familien etc.), wird der Schauplatz der Handlung immer mehr ins Abstrakte verlagert. An mehreren Stellen wird die Handlung dabei schwer greifbar, sodass man eine große Menge Fantasie einsetzen muss, um den Geschehnissen zu folgen. Das hat mich in Teilen an die Welt von Philipp Pullman in seiner "His Dark Materials"-Reihe erinnert, die zwar auch von originellen Ideen nur so strotzt, aber immer wieder die Bodenhaftung verliert und es nicht schafft, die Welt durchgängig greifbar zu machen.
Die aller größten Probleme in diesem Finale haben mir allerdings die Figuren bereitet, beziehungsweise das chronische Fehlen ebendieser. Wie bereits erwähnt, konzentriert sich ein sehr großer Teil der Handlung auf Ophelias innere und äußere Entwicklung im Institut für Abweichungen, in dem sie teilweise isoliert, oder von Beobachtern umgeben an der Abspaltung eines Echos arbeitet. Dadurch gerät nicht nur Thorn stark in den Hintergrund, auch andere, liebgewonnene Figuren haben hier kaum mehr einen Auftritt. Bereits in Band 3 haben wir nur durch Viktorias Erzählperspektive kurze Blicke auf die Figuren von Band 1 und 2 erhaschen können, da diese in Band 4 nur ganze dreimal eingefügt sind, spielen Archibald, Berenilde, Gwenael, Reineke, Tante Roseline und Co hier praktisch keinerlei Rolle mehr. Neue Nebenfiguren wie Blasius, Professor Wolf, Ambrosius, Elisabeth oder Lazarus bleiben hingegen viel zu undurchsichtig, um die Sympathieträger ersetzen zu können, sodass sich in Band 4 wie in den Archen selbst figurengroße Löcher auftun. Darüber hinaus ist Ophelia selbst viel zu sehr mit ihrer Identitätskrise durch Echos, Schatten, Verdrehung, Erinnerung, Vertauschung und Co beschäftigt, um ihre bisherige Entwicklung wirklich zu Ende zu führen. So verlaufen sowohl ihre persönliche Geschichte als auch ihre Beziehung zu Thorn am Ende unbefriedigend im Sand.
Nach 613 Seiten bleibt so das Gefühl, dass hier deutlich mehr drin gewesen wäre! Auch wenn "Im Sturm der Echos" durchaus wieder originell und wendungsreich erzählt ist, konnte Band 4 also die beiden größten Stärken der Reihen - das Worldbuilding und die tollen (Neben-)Figuren, nicht mehr ausspielen und hat sich zu sehr in der komplizierten Handlung verzettelt, um wirklich als Finale zu begeistern.
Fazit
Obwohl "Im Sturm der Echos" mit spannenden Ideen, einer dichten Atmosphäre und einer aufwändigen Inszenierung aufwartet, verliert sich das Finale der Spiegelreisenden-Reihe zu sehr in Abstraktion, Figurenarmut und verwirrenden Handlungssträngen, um einen wirklich überzeugenden Abschluss zu bieten. Die Reihe hinterlässt so einen zwiespältigen Eindruck: faszinierend und originell – aber erzählerisch die meiste Zeit nicht im Gleichgewicht.
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