
Allgemeines
Titel: Heir
Autorin: Sabaa Tahir
Verlag:
cbj (26. Februar 2025)
Genre: Fantasy
ISBN:9783641325817
Seitenzahl: 640 Seiten
Originaltitel: Heir (übersetzt von Christel Krönig, Hanna Christine Fliedner und Christopher Bischoff)
Weitere Bände: Unnamed Band 2 (ET=?)
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Inhalt
Bewertung
Bei "Heir" handelt es sich um ein Sequel von Sabaa Tahirs erfolgreicher "Elias&Laia"-Reihe, welche ich absolut GELIEBT habe. Die vierbändige Reihe gehört zu meinen absoluten All-Time-Favorites im Fantasy-Bereich und wurde vom Time-Magazine auf die Liste der 100 besten Jugendbücher aller Zeiten gewählt. Deshalb wird es wohl kaum überraschen, dass ich mich riesig darauf gefreut habe, in die Welt des Imperiums zurückkehren zu können und drei neue Figuren zu verfolgen, die nun in einer Dilogie auf ein eigenes Abenteuer gehen. 640 Seiten später kann ich bezeugen: "Heir" ist genauso düster, undurchsichtig, spannend und intensiv wie ihre Hauptreihe und ist mit seiner Epik, Brutalität aber auch Hoffnung zu meinem ersten Jahreshighlight 2025 geworden.
Zuerst wie immer ein paar Worte zur Gestaltung. Da "Heir" anders als die Hauptreihe von cbj und nicht von ONE verlegt wurde, reiht sich das Cover optisch leider nicht in die Reihe ein. Wobei "leider" hier relativ zu sehen ist, da ich die Gestaltung des Sequels um einiges ansprechender finde als die der Hauptreihe mit den teilweise unpassenden Model-Gesichtern. Hier ist im Stil eines filigranen Kratzbildes die Silhouette eines goldenen Helden zu sehen, der umweht von einer Brise auf dem Gipfel eines Berges steht, während sich über ihm ein Sturm zusammenbraut. Die Farbakzente in schwarz, dunkelblau, silber und gold passen dabei wunderbar zur dichten, düsteren Atmosphäre der Geschichte. Die blauen Windböen, die im Buch eine wichtige Rolle spielen, setzen sich in der Erstauflage außerdem als Farbschnitt rund um das Buch fort. Auch die ergänzte, ausführliche Seite des Imperiums und des südlichen Kontinents sowie die Trennblätter der vier großen Abschnitte des Buches - "Der Fall", "Die Jagd", "Mutter Diz" und "Die Leere" sind ebenfalls in Stil und Farbe des Covers gehalten. Hier lohnt sich also definitiv der Kauf der gebundenen Ausgabe!
Sabaa Tahir beginnt in "Heir" eine neue, komplex aufgezogene Geschichte, die circa 20 Jahre nach den vorherigen Bänden ansetzt und hauptsächlich aus drei neuen Erzählperspektiven erzählt wird. Auch wenn im späteren Verlauf auch mal zu Nebenfiguren gewechselt wird, wie wir das auch aus "Elias & Laia" kennen, stehen Quil, Sirsha und Aiz im Vordergrund der Geschichte und nehmen uns mit zu ganz unterschiedlichen Orten und Situationen in ihrer atmosphärisch dichten Fantasy-Welt. Dabei wird das Worldbuilding, das wir bereits aus der Hauptreihe kennen, weiter ausgebaut. Neben dem Martialenimperium und den Stammeslanden erfahren wir nun mehr über den Rest des südlichen Kontinents und lernen verschiedene Völker wie die magiebegabten Jaduna, die Seher von Ankana oder die kegarischen Eroberer kennen. Auch das Magiesystem wird durch Verbindungen von Magie und Technologie, jadunische Hexenmeistern, ankanische Sehern, bindendes Metall und magisch-lebendige Geschichten erweitert.
Doch nicht nur deshalb macht es macht große Freude, die drei Handlungsstränge durch das gesamte Imperium zu verfolgen. Auch das Rätsel, wie diese zusammenhängen treibt die Handlung zu jedem Zeitpunkt weiter voran. Sabaa Tahir beweist wieder, dass sie selbst eine Kehanni ist, die kunstvoll Geschichten spinnen kann. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte so komplex und gut durchdacht, dass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Aufgrund dieser Offenheit und Unvorhersehbarkeit hatte ich regelrecht Angst vor dem Ende und hätte am liebsten gerne vorab versichert gewusst, dass wirklich alles gut geht.
Denn darauf kann man sich bei Sabaa Tahir leider nicht verlassen - wie ich auf die harte Tour lernen musste. In einem dichten Plot mit einer neuen magischen Bedrohung und einem aufziehenden Krieg sind jede Menge Leid, Verwirrung, Herzschmerz, Verrat, Tod und Verzweiflung wieder vorprogrammiert. Passend dazu ist auch "Heir" wieder sehr brutal und schonungslos erzählt. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Egal ob Genozid, Krieg, Folter oder der gezielte Mord von Kindern - angesichts der Grausamkeit der fiktiven Szenen würde ich hier wieder eine Altersempfehlung ab 16 Jahren aussprechen. Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für sensible LeserInnen mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte, lebendige Urwälder oder wilde Feste beschreibt und malerische Stammessiedlungen in die Wüste malt. Ganz unverhofft kommen immer wieder wunderschöne Beschreibungen, Feststellungen oder Dialoge auf. Wie die anderen Bücher der Autorin ist also auch "Heir" wieder voller schöner und hässlicher Momente, prall gefüllt mit Gesellschaftskritik, kleinen Weisheiten und dem Aufruf nach Versöhnung, Barmherzigkeit und Dialog.
Der intensive, emotionale, mitreißende Eindruck, den die Autorin, ohne dafür viele Worte zu benötigen, generiert, kann dabei auch auf die Nähe von uns LeserInnen zu den Figuren zurückgeführt werden. Auch hier gelingt es ihr, uns Figuren vorzusetzen, die wir so gerne auf ihrem Kampf ums Überleben, durch Leid, Schmerz, Tod und Freude begleiten, dass sie sich bald beinahe wie Familienmitglieder anfühlen und man nicht anders kann als mit vollem Herzen mitzufiebern. Quil ist mir schon nach wenigen Sätzen ans Herz gewachsen. Der kleine Zacharias Marcus Licius Aquillus Farrar, dessen Geburt wir in "In den Fängen der Finsternis" bang verfolgt haben, ist nun 20 Jahre später zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen, der sich für die Verantwortung des Imperiums auf seinen Schultern aber noch nicht bereit fühlt. Schnell wird allerdings klar, dass der junge Prinz die besten Eigenschaften seiner Tante Helena und seiner Zieheltern Elias und Laia vereint und er enormes Entwicklungspotenzial hat. Sein Weg durch dieses Buch führt ihn durch dunkle Täler des Verlusts, vorbei an neuen Orte außerhalb des Imperiums, durch seine bisher unentdeckte Magie und hin zu seiner Rolle als rechtmäßiger Thronfolger. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie er in Band 2 nach den Sternen greift!
Mit der zweiten Hauptfigur Sirsha musste ich erst einige Kapitel warm werden, bis ich ein Gefühl dafür bekommen habe, was die ausgestoßene Jaduna antreibt. Was genau zum Verstoß aus ihrer Gemeinschaft geführt hat, erfahren wir hier noch nicht, aber wie sehr sie sich als Einzelkämpferin, die sich mithilfe ihrer Gaben als Fährtenleserin durchschlägt, eine feste Gruppe und ein Ziel wünscht, wird bald deutlich. Umso schöner, dass sie mit Arelia, Sufyian und natürlich nicht zuletzt mit Quil Gefährten findet, die weit über eine Schicksalsgemeinschaft hinausgehen und die sie dazu anspornen, ihr wahres Potenzial zu erforschen...
Die dritte im Bunde ist die junge Kegari Aiz. Bevor ich etwas über sie erzähle, muss ich allerdings dringend eine Spoilerwarnung einfügen, da sich in ihrem Handlungsstrang einer der Hauptkniffe der Erzählung entfaltet. Spoiler zum Lesen markieren: Denn als sich die Wege der drei Hauptfiguren zum ersten Mal kreuzen und sich die sorgsam verstreuten Hinweise zusammensetzen wird plötzlich klar: die Autorin erzählt in "Heir" gar nicht wie angenommen von drei Helden, die gemeinsam die neue Bedrohung bekämpfen. Stattdessen spielt Aiz´ Handlungsstrang in der Vergangenheit und erzählt die Hintergrundgeschichte der Entstehung ebendieser Bedrohung. Wir verfolgen Aiz wie sie sich, angetrieben von Rache und dem Wunsch, ihr Volk vor Unterdrückung und Armut zu retten, auf die Suche nach der Heiligen ihres Volkes macht: Mutter Diz. Ihre Suche führt sie über ein geheimnisvolles Buch von einer gewissen Laia von Serra in die Stammeslande, in denen sie Quil, Sufiyan, Elias und Laia das erste Mal begegnet und die Ereignisse anstößt, die in der Gegenwart dazu führen, dass Sirsha eine Mörderin jagen und Quil einen verlorenen Bruder betrauern muss... Dass sie als Antagonistin angelegt ist, habe ich dabei schon recht früh vermutet, da sie beherrscht von negativen Gefühlen sich selbst und ihre Träume immer wieder aus den Augen verliert. Wie die Geschichte zusammenhängt, hat mich dann aber dennoch überrascht und dazu beigetragen, "Heir" 5 Sterne zu geben. Denn durch diesen Geniestreich der Autorin können wir hautnah dem Aufbau der Antagonistin beiwohnen und ihre Seite der Geschichte verfolgen, während wir gleichzeitig hoffen, dass sie besiegt werden kann.
Neben den drei Hauptfiguren hält die Geschichte allerdings auch spannende Nebenfiguren bereit, die hier aber aufgrund der deutlich temporeicheren Handlung als in den vorherigen Bänden, nicht so viel Raum erhalten. So begegnen wir zum Beispiel Elias und Laia wieder, die mit dem Stamm Saif in der Wüte leben, Kinder haben und ihren Platz in der Welt gefunden haben. Auch andere bereits bekannte Figuren wie Musa, Imperatrix Helana oder die Banu-al-Mauth kommen hier am Rande vor. Allerdings mehr als Easter-Eggs und nicht in einem Umfang, als dass man die Hauptreihe dringend gelesen haben muss. Ob mit der Handlung, dem Worldbuilding oder den Figuren - "Heir" baut zwar auf Bekanntem auf, löst sich aber sehr gut von seinen Anfängen und kann wunderbar als alleinstehendes Buch auskommen. Wenn man die gesamte Geschichte kennt, macht das Lesen aber natürlich noch viel mehr Spaß!
Apropos Spaß. Nach 640 turbulenten Seiten hat der Lesespaß dann leider schon wieder ein (vorläufiges Ende). Hier gipfelt die Geschichte in einem Showdown, der so verwirrend wie frustrierend ist, während ganz im typischen Stil von Sabaa Tahir wieder mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet und die Figuren in teilweise unmöglichen Situationen zurückgelassen werden. Gut, dass es schon bald einen zweiten Band geben wird, der dies für uns auflöst. Ach nein, ätsch, Band 2 ist noch nicht mal angekündigt. Ich gehe dann mal weinen.
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