
Allgemeines
Titel: Dearly
Autorin: Margaret Atwood
Verlag: Ecco (10. November 2020)
Genre: Lyrik Anthologie
Seitenzahl: 124 Seiten
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Meine Eindrücke
Margaret Atwood fasziniert mich nicht nur als Romanautorin, sondern auch als Lyrikerin, auch wenn sie als solche deutlich weniger bekannt ist. Mit "Dearly", ihrer ersten Gedichtsammlung seit über einem Jahrzehnt, beweist sie einmal mehr, warum sie zu den bedeutendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur zählt. In ihren "späten Gedichten" verwebt sie passend zu ihrem 81. Geburtstag Themen wie Liebe, Verlust, Vergänglichkeit, Natur – und weil es eben Atwood ist – Aliens und Zombies.
Why not, though? Why not look? Isn't it glittery? Isn't it pretty, back there?"
Besonders bewegt haben mich ihre Texte über Sterblichkeit, das Altern, vergangene Erinnerungen und den Verlust ihres Lebenspartners, den sie in den Gedichten im letzten Drittel der Anthologie verarbeitet. Doch auch wenn der Tod ein durchgängiges Motiv der Anthologie ist - sie kommt von sterbenden Worte (wie das titelgebende Dearly), über sterbende Geliebte auf eine aussterbende Welt - sind ihre Gedichte nicht verzweifelt, sondern von einer außergewöhnlichen Ruhe geprägt. Auch wenn ihre Gedichte introspektiv und emotional sind, lässt sich Atwood nicht auf sentimentale Nostalgie ein, sondern betrachtet das Ende mit klarem, manchmal spielerischem Blick. Sie lädt den Tod an den Tisch, spricht mit ihm, macht ihm keinen Vorwurf – denn ohne ihn gäbe es auch das Leben nicht:
So hat mich am meisten berührt, wie Atwood die Vergänglichkeit des Lebens betrachtet – mit Wehmut, aber auch mit einer gewissen Gelassenheit. Ihre Gedichte fühlen sich an wie Momentaufnahmen eines Lebens, das mit klarem Blick, aber auch mit viel Herz gelebt wurde. Dies steht in einem auffallenden Kontrast zu den Gedichten, die ich in den letzten Jahren gelesen habe und die zumeist von sehr jungen Menschen geschrieben wurden. Atwoods Lyrik ist reifer, weiser, durchzogen von einem tiefen Verständnis für die Zerbrechlichkeit, aber auch die unermessliche Schönheit des Lebens.
What song would you be?
Would you be the voice that sings,
Would you be the music?
When i am singing this song for you
You are not empty air
You are here,
One breath and then another:
You are here with me...“
Neben sehr persönlichen Themen widmet sich die Autorin in ihrer Anthologie auch großen gesellschaftlichen Fragen: Sie schreibt über das Klima, das fragile Gleichgewicht der Erde, das Frausein in einer komplexen Welt, Artensterben, Verantwortung und Selbstbestimmung. Wer Atwoods Romane liebt, wird viele ihrer dystopischen Themen hier in lyrischer Form wiederfinden. Sie warnt uns vor der Dunkelheit, die in uns schlummert, erinnert uns an gesellschaftliche Ungerechtigkeiten – vor allem an die Gewalt gegen Frauen, die sich durch die Jahrhunderte zieht:
over the years, thousands of years,
Killed by fearful men
Who wanted to be taller."
Gleichzeitig sind einige ihrer Gedichte aber auch unerwartet albern und seltsam – Stichwort "Double-Entry Slug Sex", in der sie das Fortpflanzungsverhalten von Schnecken beschreibt. Auch andere Naturmotive wie Vögel, die Arktis oder Blumen tauchen sehr häufig auf - manchmal auch in einem humorvollen Kontext. So ergibt sich eine Mischung aus Ernst und Humor, die man selbst gelesen haben muss, um sie zu verstehen! Denn "Dearly" ist mehr als ein düsteres Buch über das Sterben. Es ist auch eine Aufforderung, das Leben zu genießen, solange wir es haben – Kürbisse zu schnitzen, Sex zu haben, die Pilze im September zu bewundern. Es ist ein Buch über das Hier und Jetzt, über das, was uns bleibt, bevor wir nur noch eine gepunktete Kontur in der Erinnerung anderer sind.
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