Mittwoch, 16. Juli 2025

Dunkelnacht


Allgemeines

Titel: Dunkelnacht
Autorin: Kirsten Boie
Verlag: Oetinger (3. Februar 2021)
Genre: Historische Novelle
Seitenzahl: 129 Seiten
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Inhalt

April, 1945. Alle spüren, dass der Krieg und die fürchterliche Ideologie der Nationalsozialisten kurz vor dem Ende stehen. Doch in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, drei Tage vor Hitlers Selbstmord, ereignet sich das dunkelste Kapitel der damals noch jungen Stadt Penzberg in Bayern. Denn während der einst von den Nazis abgesetzte Bürgermeister zurück ins Rathaus zieht, erlässt die Wehrmacht den Befehl, alle Widerständler sofort hinzurichten. Und zwischen allen Fronten stehen die Jugendlichen Marie, Schorsch und Gustl.



Bewertung

Kirsten Boies Novelle "Dunkelnacht" ist eine erschreckende, aber notwendige literarische Auseinandersetzung mit einem weitgehend unbekannten Kapitel deutscher Geschichte. Auf 129 Seiten schildert sie eindringlich die sogenannten „Penzberger Mordnacht“, ein reales Massaker an Zivilisten durch die nationalsozialistische Organisation Werwolf am 28. und 29. April 1945 in einer bayrischen Kleinstadt – nur zwei Tage vor Hitlers Tod und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Damit sind die Geschehnisse ein Beispiel für ein sogenanntes Endphasenverbrechen, das mir persönlich nicht bekannt war. 

Die Kinderbuchautorin verpackt die realhistorischen Geschehnisse zugänglich in einer fiktive Geschichte um die drei Jugendlichen Marie, Schorsch und Gustl, deren Perspektiven sich mit weiteren Stimmen aus dem Ort abwechseln, um ein dichtes Stimmungsbild jener Tage zu malen. Zunächst beobachten wir, wie nach einer Ankündigung im Reichsempfänger, dass die Amerikaner beinahe da sind, verschiedene Reaktionen in der Kleinstadt hervorgerufen werden. Während die einen bereits Bettlaken für weiße Fahnen sammeln, versuchen andere noch schnell Dokumente zu vernichten oder denken darüber nach, einen letzten Sabotageakt durchzuführen. Doch dann kommt ein Trupp Wehrmachtssoldaten und eine Gruppe der sogenannten "Werwölfe" in die Stadt und ein schreckliches Verbrechen nimmt seinen Verlauf. Am Ende der "Dunkelnacht" sind 16 Erwachsene und ein Ungeborenes ermordet, zwei weitere Menschen schwer verletzt und eine Dorfgemeinschaft traumatisiert - die Täter hingegen werden Jahre später freigesprochen.

"Sechzehn Ermordete und kein einziger Mörder. Das soll man verstehen können."

Die Tragik entfaltet sich dabei nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Erzählstruktur: Durch erzählerische Vorgriffe ist früh klar, dass es kein gutes Ende geben wird. So steuern wir machtlos auf ein Desaster hin, das unnötig, geradezu leicht zu verhindern gewesen wären, wenn nur andere Entscheidungen getroffen worden, wenn nur jemand Verantwortung übernommen hätte. Die kurzen Kapitel sind klar strukturiert, durch Zeit- und Personenangaben bleibt die Handlung trotz des häufigen Perspektivwechsels stets nachvollziehbar. Erzählt wird dabei im Präsens, was die Intensität der Lektüre noch verstärkt. Man steht förmlich am Rand des Geschehens, beobachtet sprachlos wie eine Situation kurz vor dem herbeigesehnten Frieden nochmal zu kippen droht und schließlich blutig eskaliert. 

"Weil auch in diesen Zeiten irgendwer das Richtige tun muss, einfach, weil es richtig ist."

Obwohl sich die Mischung aus Panik, Verwirrung, Gehorsam, Stolz, Loyalitäten und die sanfte Hoffnung auf Frieden von der ersten Seite an auf mich als Leserin übertragen hat, bleibt Kirsten Boies Erzählstil durchgehend nüchtern, fast schon sachlich und verzichtet auf emotionale Formulierungen. Diese erzählerische Distanz wirkt fast schon wie ein Akt des Selbstschutzes – für die Figuren, die Autorin wie uns Lesende gleichermaßen -, denn der Schrecken der Handlung wirkt trotzdem viel zu lebendig nach. Auf den 129 Seiten kann sie bei den einzelnen Figuren nicht in die Tiefe gehen, aber das muss sie hier auch gar nicht und nach wenigen Kapiteln ist man auch fast froh, dass die Autorin vieles nicht weiter ausführt. Besonderen Nachdruck erhalten die Geschehnisse durch die Tatsache, dass es sich hier natürlich um echte Daten, echte Namen und echte Schicksale handelt. Sowohl an die Opfer als auch an die Täter wird namentlich erinnert und Dokumente sowie überlieferte Gesprächsfetzen sind historisch korrekt abgebildet. 

"Wer heute nach Penzberg kommt, ahnungslos und ohne zu wissen, den wird nichts mehr erinnern an dieses Grauen der Mordnacht am Ende des Zweiten Weltkriegs."

So vermischt Kirsten Boie Historie mit literarischer Fiktion zu einer beklemmenden, aber wichtigen Mahnung. Gerade heute, in einer Zeit, in der 80 Jahre nach Kriegsende eine neue Phase des Rechtsrucks, der Ignoranz und des Hasses anzubrechen droht, wirkt "Dunkelnacht" aktueller und notwendiger denn je. Die Novelle ist ein klares Plädoyer gegen das Vergessen und erinnert eindringlich daran, wie schnell Demokratie, Menschlichkeit und Verantwortung untergehen können. Was damals geschehen ist, darf nie wieder passieren und um dies zu vermeiden ist es wichtig, sich mit diesem Kapitel unserer Geschichte zu befassen, sich an die Vergangenheit zu erinnern und daraus zu lernen.

"Penzberg zeigt: Eine unmenschliche Politik betrifft am Ende selbst diejenigen, die glaubten, unbeteiligt bleiben zu können."


Fazit

Kirsten Boies "Dunkelnacht" ist eine erschütternde und gleichzeitig notwendige Novelle, die ein reales Verbrechen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zugänglich für junge LeserInnen aufarbeitet. 


*keine WERBUNG, selbstgekauft*

Quelle Informationen: Amazon.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

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