
Allgemeines
Titel: Emily Wildes Enzyklopädie der Feen
Autorin: Heather Fawcett
Verlag: Fischer (24. Mai 2023)
Genre: Fantasy
Originaltitel: Emily Wilde's Encyclopaedia of Faeries (übersetzt von Eva Kemper)
Seitenzahl: 416 Seiten
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Inhalt:
Bewertung
"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" habe ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magische Wesen und eine verschneite Kulisse im frühen 20. Jahrhundert irgendwo am Rand der Welt sehr vielversprechend klang. Ich hatte mir eine locker-leichte Geschichte mit märchenhaftem Flair und einem Hauch Romantik erhofft, an der man sich zwischendurch erfreuen kann. Leider erwies sich der Einstieg ins Buch für mich aber als deutlich weniger mühelos als erwartet...
Das beginnt schon mit der Erzählweise der Handlung. Erzählt wird die Geschichte in Form von Tagebucheinträgen in Emilys Forschungstagebuch, die teils größere Zeitsprünge enthalten und eher nacherzählen, als szenisch zu schildern. Diese ungewöhnliche Erzählweise bringt einige Herausforderungen mit sich, vor allem was das Pacing der Handlung betrifft. So passiert zu Beginn lange Zeit kaum etwas erwähnenswertes, während Emily und Wendell in Hrafnsvik ankommen und die umliegende Gegend erkunden – so wenig, dass ich mich nach 150 Seiten ernsthaft gefragt habe, ob ich das Buch überhaupt beenden möchte. Später wiederum überschlagen sich die Ereignisse, allerdings werden zentrale Wendepunkte und Schlüsselszenen dann oft nur knapp in einem Eintrag abgespeist, statt sie wirklich auszukosten. Auch die zeitlichen Rahmenbedingungen der Geschichte waren für mich zunächst schwer greifbar, was mir den Einstieg in die Handlung zusätzlich erschwert hat. Den obwohl die Handlung im Jahr 1909 angesiedelt ist, könnten Setting, Figuren und Ereignisse fast ebenso gut in der Gegenwart spielen. Zwar kommt keinerlei moderne Technologie vor, eine authentische historische Atmosphäre will sich aber dennoch nicht so recht einstellen.
Hat man dann aber in die Geschichte reingefunden, belohnt sie einen mit unerwartetem Charme, dem man sich nicht entziehen kann. Heather Fawcetts Sprache ist durchzogen von trockenem, eigenwilligem Humor, der durch Emilys nüchterne, wissenschaftlich geprägte Tagebuchstimme getragen wird. Durch den eher distanzierte Erzählton muss man viele Gefühlsbeschreibungen und Beziehungsdynamiken zwischen den Zeilen lesen. Wenn man sich aber erstmal in Emilys Gedankenwelt eingefunden hat, funktioniert das aber ganz wunderbar und man bekommt kaum genug von der Geschichte. Das spiegelt sich auch in meinem Lesetempo wieder. Während ich für die ersten 150 Seiten beinahe drei Wochen gebraucht habe und nebenher sieben andere Bücher beendet habe, habe ich den Rest der Geschichte an einem einzigen Vormittag gelesen.
Besonders gelungen sind auch die atmosphärischen Beschreibungen der winterlichen Landschaft Ljoslands, der prächtigen Natur und vor allem der fremdartigen, magisch-düsteren Feenreiche, denen Emily bewaffnet mit Fotoapparat und Notizbuch auf die Pelle rückt. Vor allem bei der Beschreibung von letzteren zeigt die Autorin sehr viel Kreativität und Gespür für das Unheimliche. Damit erinnert das Worldbuilding ein wenig an die Geschichten von Holly Black oder S. Jae-Jones. Denn die Einordnung der Reihe als "Cozy Fantasy" finde ich maximal irreführend, denn weder ist die Geschichte „gemütlich“ noch laden die Feenwesen zum Kuscheln ein. Wer bei Titel und Genrebezeichnung an glitzernde Elfen denkt, die schillernd über bunte Wiesen taumeln, könnte nicht weiter von Heather Fawcetts Version der Feenwelt entfernt sein. Sie zeichnet hier ein exzentrisches Bild der Feenwelt mit komplizierten Regeln, beiläufiger Grausamkeit, verdrehter Schönheit, eiskalter Skrupellosigkeit und gefährlichen Abgründen. Eine faszinierende, wenn auch gewöhnungsbedürftige Mischung.
Apropos faszinierend, wenn auch gewöhnungsbedürftig: Sprechen wir über die Hauptfigur Emily. Es hat zwar eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit ihr warm geworden bin, aber ihre distanzierte, sachliche Art, ihr scharfer Verstand und ihr Hang dazu, sich aus wissenschaftlichem Eifer in Schwierigkeiten zu bringen machen sie zu einer interessanten Protagonistin. Mit ihrer maximalen sozialen Inkompetenz und ihren Inselbegabungen könnte sie auf dem Autismus Spektrum liegen und ist damit der diametrale Gegenpart zum charismatischen Love Interest Bambleby Wendell. Die Dynamik zwischen den beiden ist schrullig, aber herzerwärmend, genau wie die Nebenfiguren wie beispielsweise der Brownie Poe, Emilys Begleiter Shadow und die ruppigen Dorfbewohner, die sich nur mit viel Geduld für Emily erwärmen lassen. Am Ende fand ich es dann sehr schade, alle so schnell wieder zurücklassen zu müssen und habe beschlossen, auf jeden Fall auch die Folgebände zu lesen. Allein schon, weil ich so viel in die Geschichte investieren musste, um das Gebiet der Dryadologie zu greifen, die Figuren ins Herz zu schließen und mich mit der Erzählart anzufreunden - da lasse ich mir die Fortsetzungen nicht entgehen!
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