Sonntag, 23. August 2020

Liebe machen



Allgemeines:

Titel: Liebe machen
Autor: Moses Wolff
Verlag: Piper (3. August 2020)
Genre: Roman
ISBN-10: 3492307493
ISBN-13: 978-3492307499
ASIN: B081B8K6RN
Seitenzahl: 286
Preis: 8,99€ (Kindle-Edition)
10€ (Taschenbuch)


Inhalt:

Als die zwanzigjährige Dagmar in einer lauen Kölner Nacht im März 1970 aus dem Schlaf hochschreckt, ahnt sie nicht, dass in Hamburg ein junger Mann, Götz, ebenfalls wach liegt und denselben Traum träumt wie sie. Und vor allem ahnen weder Dagmar noch Götz, dass das Schicksal sie füreinander bestimmt hat … Noch im selben Jahr werden sie sich auf dem Oktoberfest begegnen, sich verlieben – und dann für lange Zeit aus den Augen zu verlieren, ohne zu wissen, wie nah sie sich eigentlich die ganzen Jahre über sind.


Bewertung:

Als Moses Wolff virtuell bei mir anklopfte und mir seinen neusten Roman vorschlug, konnte ich nicht ablehnen. Anders als ich angenommen hatte, ist "Liebe machen" jedoch kein klassischer Liebesroman, sondern vielmehr eine turbulente (Zeit-)Reise durch die Geschichte der Bundesrepublik von 1970 bis in die Gegenwart.

"Sobald sich die junge Frau umgedreht hatte, sah Götz nur noch sie. Es war, als wäre sie von einem betörenden Schimmer, einem Strahlenkranz umgeben, gleichzeitig schien sie von innen heraus zu leuchten. Sie bannte seinen Blick wie die Sonne und alle Himmelskörper am Firmament zugleich."

Schon das Pop-Art-Cover bereitet auf eine farbenfrohe Zeitreise vor und entführt in die Zeit von Schlaghosen, Schwarz-Weiß-Fernsehen und Asterix-Heften. Vor dem Hintergrund einer knallbunten Siebziger-Jahre-Tapete mit orange-roten Kreisen steht auf einem altmodischen Heizkörper ein rotes, mit Prilblumen und anderen Werbeaufklebern beklebtes Radio mit Antenne. Auch innerhalb der Buchdeckel wird das Vergangenheitsthema fortgeführt. große Lettern im Stil des Titels kündigen die Jahreswechsel an und in etwas kleiner stehen vor jedem Absatz Zeit und Ort des sich Abspielenden. Den Titel "Liebe machen" empfand ich zuerst als etwas irreführend und aufmerksamkeitsheischend, nach mehrmaligem Nachdenken passt er aber ganz gut. 

Erster Satz: "Dagmar erwachte mitten in der Nacht."

Mit einem intensiven Traum, den beide Protagonisten teilen starten wir am 28. März 1970 in die Lebensgeschichten von Götz und Dagmar, die zwar einige hundert Kilometer entfernt voneinander in Köln und in Hamburg leben, deren Leben aber auf schicksalshafte Weise miteinander verwoben scheinen. Beide sind Teil der aufkommenden Studentenszene passionierte Film- und Musikfans und wurden von der Love-und-Peace-Szene bewegt, sodass es sie in ähnliche Richtungen zieht und sich ihre Wege immer wieder unbemerkt kreuzen, bis sie sich zweimal wirklich treffen. Auch wenn diese Treffen nur flüchtige Begegnungen zwischen Fremden sind, lässt sie der jeweils andere nicht mehr los und so träumt Dagmar in stillen Momenten von ihrem Prinzen und Götz von seiner Fee, während sie ein glückliches Leben voller Reisen, Abenteuer, Arbeit und Musik gemeinsam und doch aneinander vorbei leben...

"Ein seltsam angenehmes Gefühl durchfuhr sie, sie spürte eine beruhigende Vertrautheit, ein anmutiges Kitzeln, eine wohltuende Wärme, einen Hauch von Magie. Es war wie die kurze Erfüllung einer lange gehegten Sehnsucht, das Wahrwerden einer Vorahnung, wie die Heimkunft nach jahrelanger Wanderschaft, verbunden mit der Erinnerung an wohlbekannte Düfte und Farben."

Die Liebesgeschichte der Beiden steht also nicht im Vordergrund und ist auch nur in Ansätzen vorhanden, um die beiden Handlungsstränge miteinander zu verbinden. Stattdessen liegt der Fokus des Romans hier eindeutig auf dem Zeitgeist, den Moses Wolff hervorragend zu vermitteln weiß. Auch wenn die episodische Erzählung vieles nur anreißt und sich nicht gerade durch vielschichtige Erzählkunst hervortut, erlauben die vielen kurzen Szenen einen unterhaltsamen, kurzweiligen Einblick in fünf turbulente Jahrzehnte. Die eher kurzen Kapitel und Abschnitte sorgen dafür, dass sich "Liebe machen" sehr gut als Reise- oder Zuglektüre eignet. Dennoch ist der Roman keine Lektüre, die man an einem Tag herunterliest, dafür passiert einfach zu viel auf wenig Raum. Rund um unkomplizierte Alltagsszenarien sind immer wieder historische Begebenheiten eingebaut, die die beiden dargestellten Lebenswege echter und greifbarer erscheinen lassen. Gesellschaftlicher Umschwung wie das Leben in Kommunen, Trampen durch ganz Deutschland, sexuelle Befreiung oder der Beginn der Feierkultur; bahnbrechende Erfindungen wie der Walkman; historische Ereignisse wie der Mauerfall, politische Richtungswechsel oder die Einführung des Euros und natürlich musikalische Umschwünge und die Kinderschuhe der Popkultur - all das wird kurz zwar aber sehr anschaulich vor dem Leser ausgebreitet. 

"Aber Liebe kann man doch eigentlich gar nicht machen. Man kann sich verlieben, den Zustand gegenseitiger Faszination erleben, tiefe Zuneigung und echte Liebe für einen Menschen empfinden und sich im günstigsten Fall miteinander vereinen."

Zusammen mit Liedern, Filmen, Zeichentrickserien oder neuen Modetrends ergeben sich dadurch viele Anknüpfungspunkte für persönliche Erinnerungen an die Zeit und viel Platz für die Nostalgie des Lesers. Da ich selbst ein 2000er-Kind bin, hat das bei mir mit dem persönlichen Bezug zwar nicht funktioniert, dennoch konnte ich den Spirit der Zeit gut fühlen und nachempfinden, was diese Generation angetrieben hat. Gerade die positive Weltsicht, die Einfachheit des Lebens und die Offenheit für neue Erfahrungen ist etwas, was ich sehr an dem Denken und Leben dieser Zeit schätze und im Jetzt manchmal vermisse. Neben der klar vermittelten Carpe-Diem-Mentalität sind auch noch viele weitere philosophische Ansätze, kluge Gedanken und scharfsinnige Beobachtungen in den 286 Seiten versteckt und auch die beiden Protagonisten konnten mich überzeugen. Sowohl Götz als auch Dagmar sind solide, aber sich entwickelnde Protagonisten, die wir durch die vielen alltäglichen Szenen und durch die Tatsache, dass wir sie fast ihr ganzes Leben lang begleiten, mit all ihren Eigenarten und Geistesblitzen kennenlernen. Auch wenn es manchmal frustrierend zu lesen ist, wie die beiden sich immer wieder knapp verpassen, schaffen ihre Begegnungen, die abwechselnden Perspektiven und die vielen Parallelen, die sich charmant durch beide Lebensgeschichten ziehen, einen klaren roter Faden. Vor allem aber verbindet und zeichnet die beiden ihre ständige Sehnsucht nach mehr aus, die auch eines der Hauptmotive des Romans ist: sehnsuchtsvolles Streben an sich, nach Glück, nach Liebe, nach Freiheit, nach Sinn nach Erfüllung ... 

"Er empfand sein Leben als gelungen, er hatte vieles erreicht, und das Polster, das er sich angespart hatte, erlaubte ihm allerlei Kapriolen, und doch war das meiste Routine und Wiederholung. Es tat sich nichts Neues, es geschahen keine unerwarteten Dinge. Etwas war ihm entglitten, abhandengekommen, es war, als fehlte ein Modul, wie wenn man aus einem Orchester ein wichtiges Instrument entfernte. Die Musik klang angenehm und garmonierte, aber irgendetwas vermisste man. Etwas Überraschendes, etwas, das die Seele ansprach, ganz tief drinnen."

Hier kommen auch einige magische, übernatürlich schicksalshaft anmutende Szenen in Kombination mit Liebe oder Musik ins Spiel. Einige Szenen und Zufälle wirken vielleicht ein wenig gewollt, doch wer sich ganz fallen lässt, wird sich davon nicht stören lassen. Auch darüber, dass es ab und an mal etwas vor sich hinplätschert, muss man hinwegsehen. Durch die szenische Schreibweise gibt es keine intensive, emotionale, durchgehende Handlung und eher der Gesamteindruck macht die Anziehung auf. Mehrmals kam mir der Gedanke, dass der Roman sich bestimmt auch gut als Film oder Theaterstück machen würde. Etwas problematisch fand ich nur, dass die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Szenen mit zunehmender Seitenzahl immer größer werden. Während die 70er und 80er farbenfroh ausgebreitet werden, hetzen wir durch die anderen Jahrzehnte nur schnell durch und verlieren leider auch kurzzeitig die Bindung und das Gefühl für die Protagonisten, die innerhalb weniger Seiten 20 Jahrzehnte erleben. Und dann kommt das Ende - das Ende, das gleichzeitig ein neuer Anfang ist und herrlich viel offen lässt.

"Letztlich ist die sogenannte Liebe oft nur ein Versuch, sich selbst näherzukomme. Doch durch Egoismus, Verspannung und schräge Erwartungen verhindern die meisten Menschen ihr wahres Glück."



Fazit:

Unterhaltsam, kurzweilig, bunt - "Liebe machen" ist eine episodisch geschriebene (Zeit-)Reise durch die Geschichte der Bundesrepublik von 1970 bis in die Gegenwart aus zwei Perspektiven, die durch eine schicksalshafte Liebe miteinander verbunden sind. 


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*unbezahlte WERBUNG* 
Vielen Dank an den Verlag und den Autor für das Rezensionsexemplar, was meine ehrliche Meinung jedoch nicht beeinflusst hat. 
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