
Die Fakten
Titel: Blaues Wunder
Autorin: Anne Freytag
Verlag: Kampa Verlag (24. April 2025)
Genre: Roman
Seitenzahl: 227 Seiten
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Der Inhalt
Als Ferdinand von einem »Sommer auf dem Meer« sprach, hatte Nora etwas anderes im Sinn: weniger abgelegen, weniger beruflich. Auch Franziska ahnte nicht, worauf sie sich einließ, als ihr Mann Kilian einen Urlaub zu siebt ankündigte: mit seinem Chef Walter Bronstein, Ferdinand Mattern, seinem größten Konkurrenten, den drei Ehefrauen und Walters Sohn David. Auf der luxuriösen Superyacht in den Philippinen mangelt es ihnen an nichts, es könnte eine entspannte Zeit sein, aber die Gäste ahnen: Bei diesem Trip geht es um mehr, um etwas Großes. Nur worum genau, das scheint keiner zu wissen. Wieso hat Walter die beiden Kontrahenten und ihre Frauen eingeladen? Zwei Paare in den Vierzigern, die Kinder aus dem Gröbsten raus, die Eigenheime abbezahlt, die Karrieren steil – die der Männer, versteht sich. Alle zeigen sich von ihrer besten Seite. Es wird strahlend gelächelt und gekonnt konversiert. Eheleute, wie man sie sich nicht glücklicher ausmalen könnte. Aber nichts ist, wie es scheint. Sie alle spielen eine Rolle in dieser Inszenierung. Aber für wen? Und wer führt Regie?
Meine Eindrücke
Handlung: Vier Tage, sieben Personen, drei Erzählperspektiven, eine Luxusyacht mitten im Paradies, ein unbekanntes Ziel und viele dunkle Geheimnisse - aus diesen Zutaten besteht Anne Freytags neuster Roman, "Blaues Wunder", der erst dieses Jahr erschienen ist. Nachdem bisher alles, was ich von der Autorin gelesen habe zu einem absolutes Highlight wurde, habe ich mich auch ihrem neusten Roman gespannt gewidmet. Auf 227 Seiten erwartete mich ein atmosphärisches Kammerspiel mit Thriller-Elementen, das weniger auf konkrete Handlung als auf eine spannende Grundstimmung setzt. Die Spannung entsteht aus dem Zwischenmenschlichen, dem Angedeuteten, dem Ungesagten, den Rückblicken, dem Doppeldeutigen, den Blicken, dem Schweigen in dem begrenzten (Erzähl-)Raum. Die Yacht wird zum Brennglas, unter dem die sozialen, emotionalen und hierarchischen Dynamiken zwischen den Figuren sichtbar werden und sich Kapitel für Kapitel weiter zuspitzen. Zwar lässt sich ab einem gewissen Punkt erahnen, worauf das Ganze hinauslaufen wird - worin der Konflikt eskalieren muss -, doch Anne Freytag gelingt es dennoch, die psychologische Spannung bis zum Ende konsequent aufrechtzuerhalten.
Schreibstil: Wie ich es von der Autorin gewohnt bin, erzählt Anne Freytag mit bewundernswerter Präzision und Leichtigkeit. Jedes Wort sitzt, jedes Satzzeichen scheint genau abgewogen, jede Emotion kalkuliert und doch liest sich das Endergebnis flüssig, natürlich und nahbar. In kurzen Kapiteln aus der Sicht der drei Ehefrauen Nora, Franziska und Rachel präsentiert sie pointierte Dialoge, rohe Emotionen sowie präzise Beobachtungen patriarchale Strukturen, die dem Roman einen feministischen Anstrich verleihen. So zeigt sich auch hier wieder: Anne Freytag hat ein feines Gespür für Zwischentöne und findet Worte für Emotionen, für die viele keine Sprache haben. Es geht nicht um Pointen, sondern ums Begreifen, ums Fühlen, ums Mitgehen. Und das hat mich so abgeholt, dass ich beim Lesen die verschiedensten Emotionen durchlaufen und eine Vielzahl an Zitaten markiert habe.
"Manchmal hilft es, unterschätzt zu werden. Auf Kommando lächeln zu können. Von jedem für freundlich gehalten zu werden. Manchmal ist die kleine Schwester von Scheiße eine Chance. Ein Türöffner.“
Figuren: Im Mittelpunkt stehen die drei Ich-Erzählerinnen Nora, Rachel und Franziska, die trotz der relativ kurzen Seitenzahl mit Tiefe und berührenden Hintergrundgeschichten ausgestattet werden. Gefangen in ihren Ehen, im Patriarchat, im Kapitalismus, im Erwartungsdruck und in ihren Lügen für den schönen Schein sind alle drei Frauen nicht nur sympathisch gezeichnet. Mit ihrer glaubwürdigen Ambivalenz und vor allem im Kontrast zu den (bewusst überspitzt) widerwärtigen Männerfiguren wachsen aber alle drei beim Lesen schnell ans Herz. Ihre Geschichten zeigen unterschiedliche Facetten weiblicher Ohnmacht - und zugleich weiblicher Stärke. Ihre unerfüllten Wünsche, unterdrückten Sehnsüchte, ihr unsichtbares Bemühen, ihr verborgenes Leiden und ihre Loyalitätskonflikte sind fein aufeinander abgestimmt und lassen uns LeserInnen von einer Welt träumen, in der Female Rage nicht mehr gezügelt, sondern gemeinsam entfesselt wird.
"Seit wir vorhin unsere Kabine betreten haben, haben wir kein Wort miteinander gesprochen. Als hätten wir die gute Laune an der Tür abgegeben wie Mäntel im Theater. Wenn wir gleich an Deck gehen, werden wir sie wieder an uns nehmen – unsere Arbeitskleidung für den Abend.”
Fazit
"Blaues Wunder" ist ein kluger, vielschichtiger und hochspannender Roman über Machtverhältnisse, Abhängigkeit und gesellschaftliche Rollen. In der Enge einer Luxusyacht im Paradies entfaltet Anne Freytag ein psychologisches Drama mit Thriller-Anklängen, das weniger auf Handlung als auf zwischenmenschliche Beobachtungen und feine Zwischentöne setzt.
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