Allgemeines
Titel: Ein falsches Wort
Autor: René Pfister
Verlag:
Spiegel Buchverlag (31. August 2022)
Genre: Politisches Sachbuch
ISBN: 9783421048998
Seitenzahl: 257 Seiten
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Inhalt
Bewertung
René Pfisters "Ein falsches Wort" wurde mir zum Geburtstag geschenkt, hat bei mir aber erstmal Widerstand ausgelöst, da ich als eher linke Akademikerin genau im Fokus des Buches stehe. Da ich aber immer gerne bereit bin, mein Weltbild zu hinterfragen und meine Meinungen zu ändern, war ich sehr gespannt auf die Argumente des Autors. Rezensionen zu politischen Büchern sind immer besonders schwierig, ich habe mir aber Mühe gegeben, objektive und subjektive Kritikpunkte voneinander abzugrenzen, um meine Meinung zu dem Buch möglichst transparent darzulegen.
Die Aufmachung des Buches ist sehr schlicht, aber mit den starken Kontrasten, der gespiegelten Schrift und dem aufmerksamkeitsheischenden Titel etwas zu dramatisch für meinen Geschmack. Rückblickend finde ich, dass der Titel und besonders der Untertitel nicht sehr gut zum Ton und der Aussage des Sachbuches passen, was sich auch in den teilweise sehr unterhaltsamen Rezensionen zu "Ein falsches Wort" widerspiegelt. Da gibt es die linke Fraktion, die sich von dem Titel angegriffen fühlt und das Buch scheinbar nur gelesen hat, um sich über den Autor aufzuregen und die rechte Fraktion, die ein polemisches Wettern gegen "Cancel Culture" und "Wokeness" erwartet hat und von den progressiven Gedanken und dem sachlichen Ton des Autors enttäuscht waren. Denn - und das muss man in einer Rezension gleich zu Beginn erwähnen - das Buch ist anders als der provozierende Titel erwarten lässt aus einer liberalen und nicht aus einer konservativen Perspektive geschrieben. René Pfister profiliert sich schon absichtlich im Vorwort als progressiver Denker und bringt auch im Laufe der Kapitel immer wieder negative Kommentare zur politischen Rechten an, die dem Autor allerdings mehr dazu dienen, sich selbst als Liberaler zu positionieren als das Buch voranzubringen.
Besonders seine ruhige und sachliche Art und Weise zu argumentieren, die an einigen Stellen von einem humorvollen Unterton geprägt ist, aber nicht zu Übertreibungen oder Provokationen neigt, hat mich dabei positiv überrascht und dazu geführt, dass ich das Buch trotz einiger inhaltlicher Differenzen gerne bis zum Ende gelesen habe. Nebenbei analysiert der Autor die politischen Entwicklungen in den USA der letzten Jahrzehnte. Das dortige politische Klima ist durch das spezielle Wahlsystem, die Größe des Landes und seine Historie nicht direkt mit unserem in Deutschland zu vergleichen. Dem Autor gelingt es allerdings trotzdem, immer wieder Rückbezüge nach Deutschland anzustellen. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob sich die politische Linke in ihrem Kampf für die Freiheit und Gleichheit des Individuums selbst der Diskriminierung, Zensur und Beschneidung der Meinungsfreiheit schuldig macht. Eine interessante Perspektive, über die ich gerne nachgedacht habe.
Dennoch gibt es meiner Meinung nach einige objektive Schwächen und einige Punkte, über die ich mich von meinem subjektiven Standpunkt aus geärgert habe. Zunächst ist zu kritisieren, dass der Autor immer wieder die gleichen Argumente anhand von unterschiedlichen Beispielen wiederholt. Dabei greift er aufgeteilt in 13 Kapitel häufig besonders extreme Beispiele für negative oder übertriebene Auswirkungen oder Auslegungen der "Cancel Culture" wie Twittermobs heraus und vernachlässigt dabei, dass neben diesen Fällen etliche ungenannt bleiben, in denen solche Bemühungen gerechtfertigt waren und das Leben vieler zum Besseren verändert hat. Es scheint René Pfister bei der Beschreibung der überspitzten Fälle mehr darum zu gehen, unnötige Überreaktionen deutlich machen, als sich inhaltlich mit den Gedanken dahinter auseinanderzusetzen. Das zeigt sich auch in der enormen Bandbreite der politischen und gesellschaftlichen Themen, die nebenbei aufkommen. Von Gendern über Antirassismus und Rassismus bis hin zu Sexismus, Intersektionalität, Transrechte, Me-Too und Fridays for Future kommen so viele verschiedene Themen auf, die inhaltlich alle in einem eigenen Buch diskutiert werden könnten und demnach häufig sehr oberflächlich bleiben. Selbstverständlich geht es dem Autor weniger um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen, sondern mehr um die Hervorhebung des Dogmatismus und der teilweise aggressiven Debattenkultur der akademischen Linken. Für die Darstellung dieses Standpunkts hätte allerdings ein 20seitiger Essay ausgereicht und uns viele Wiederholungen erspart.
Neben den objektiven Schwächen wie Wiederholungen, den bewusst überspitzten Beispielen und der inhaltlichen Oberflächlichkeit an einigen Stellen, konnte ich persönlich auch viele Argumente nicht nachvollziehen, da mir die zitierten Positionen der Gegenseite, die er versuchte zu entkräften, sofort einleuchtender waren. Ich finde es durchaus richtig, Ideologien zu hinterfragen, die den Anspruch auf die vollkommene Wahrheit erheben und kann in den vom Autor geschilderten Vorkommnisse auch teilweise problematische Entwicklungen erkennen, dennoch kann ich ihm nicht in allen Punkten zustimmen. Dazu muss man verstehen, dass er zwar aus einer liberalen Perspektive schreibt, es allerdings dennoch die Sicht eines privilegierten, weißen Mannes ist, der von außen auf eine Gesellschaft blickt, die er zwar analysiert, aber deren täglichen Kampf und Leidensdruck er nicht versteht. Zwar stimme ich ihm insofern zu, dass der Diskurs verarmt, wenn sich nur noch persönlich Betroffene in einer Debatte zu Wort melden dürfen, er macht sich aber leider auch wenig Mühe, die Antriebskräfte der von ihm kritisierten jüngeren Generation zu verstehen. Denn die Frage ob Widerstand gegen ein etabliertes System zu Recht oder zu Unrecht geschieht, liegt immer im Auge des Betrachters und hängt davon ab, ob der Grund des Wiederstandes mit dem eigenen Weltbild deckungsgleich ist oder nicht. Dass er also beispielsweise die vergangene Bürgerrechtsbewegung und heutige Bewegungen wie Fridays for Future mit zweierlei Maßen bewertet, ist unfair und von seinem eigenen Weltbild geprägt.
An manchen Stellen ist mir seine Argumentation außerdem kurzsichtig und geradezu naiv erschienen. Wenn beispielsweise verurteilt wird, dass in der Wissenschaft Personalentscheidungen politisiert werden und bevorzugt diskriminierte Minderheiten eingestellt werden, argumentiert er, Exzellenz und Arbeitsqualität sollen die einzigen Maßstäbe sein. Als ob nicht jede Personalentscheidung immer politisiert und von systemischen, gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und verinnerlichten Verhaltensmustern geprägt ist und seit Jahrhunderten Entscheidungen, die vordergründig nur die Exzellenz anführen, zugunsten von privilegierten Gruppen getroffen werden. In einer perfekten Gesellschaft würde alleinig die Qualität zweier Bewerbenden ausschlaggebend sein für die Entscheidung, leider sind wir davon aber noch weit entfernt und solange das System noch systematisch gewisse Gruppen benachteiligt (beispielsweise sorgen riesige Hürden im amerikanischen Bildungssystem dafür, dass systematisch privilegierte, reiche Personen an Universitäten bevorzugt werden), ist die Nicht-Berücksichtigung dieser Diskriminierung bei Entscheidungen bedenklich. Auch das Argument, dass von sogenannten "Affirmative Actions" (also der kompensatorischen Bevorzugung von ansonsten diskriminierten Personen) Menschen profitieren würden, die nie Diskriminierung erfahren haben, finde ich fragwürdig. Der Autor bezieht sich hierbei besonders auf schwarze und Weiße Personen, man kann die Argumente aber auf andere Formen von Diskriminierung übertragen. Egal ob Erlebnisberichte von PoC oder Statistiken zu Arbeitslosigkeit, Polizeigewalt, materiellem Reichtum oder Gefängnisaufenthalten (die der Autor übrigens selbst anführt) - es ist trotz Fortschritte in den letzten Jahrzehnten keinesfalls davon auszugehen, dass systematischer Rassismus überwunden wurde und dieser alle Angehörigen der Minderheit betrifft (wenn auch in verschiedenen Ausmaßen - Stichwort: Intersektionalität).
Zum Thema Sprache hält sich der Autor stark zurück und gibt nur im Fazit am Ende an, es gebe auch sprachliche Grenzen. Zwischenzeitlich lässt sich aber eine Abneigung gegen von ihm bezeichnete "Sprachkontrolle" erkennen, wenn er beispielsweise das Binnen-I als "massiven Eingriff" in die Sprache bezeichnet. Es ist das Eine, konsequent in einem Sachbuch nicht zu gendern, das Andere, selbst gegen gendergerechte Sprache zu wettern. Dass die Diskussion über sensible Sprache akademisiert und an einem Großteil der Bevölkerung vorbei geht, stimmt durchaus, aber ist es deshalb weniger sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, welche Alternativen es zu verletzende Begriffe geben könnte und diese vorzuschlagen? Welche Formulierungen sich durchsetzen wird sich sowieso mit der Zeit zeigen, da Sprache sich frei entwickelt und niemandem aufgezwungen werden kann. Ich finde die Angst vor einer "Sprachpolizei" also eher lächerlich und rechten Provokateuren zuzuordnen.
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