Montag, 22. Januar 2024

Kurzrezension: Das Damengambit


Die Fakten

Titel: Das Damengambit
Autor: Walter Tevis
Verlag: Diogenes (26. Mai 2021)
Genre: Roman
ISBN: 9783257071610
Seitenzahl: 416 Seiten
Originaltitel: The Queen´s Gambit (übersetzt von Gerhard Meier)
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Der Inhalt

Mit acht entdeckt Beth Harmon im Waisenhaus zwei Möglichkeiten, der harten Realität zu entfliehen: die grünen Beruhigungspillen, die den Kindern täglich verabreicht werden. Und Schach. Das Mädchen ist ein Ausnahmetalent und gewinnt Turnier um Turnier, mit 16 spielt sie gegen lauter erwachsene Männer um die US-Meisterschaft. Ihr Weg führt steil nach oben, doch bei jedem Schritt droht der Abgrund von Sucht und Selbstzerstörung. Denn für Beth steht viel mehr auf dem Spiel als Sieg und Niederlage.


Die Eindrücke

Handlung: Nachdem ich letztes Jahr im Sommer die Netflix-Miniserie "The Queen´s Gambit" begeistert verschlungen habe, stand für mich fest, dass ich auch die Buchvorlage dringend lesen muss. Schon nach wenigen Kapiteln habe ich bemerkt, dass die Serie nur ganz leichte Abweichungen der Handlung vorgenommen hat und ich deshalb bei beinahe jeder Szene sofort ein getreues Abbild aus der Serie vor Augen hatte. So bot der erneute Gang durch Beths  Leben zwar nur wenige Überraschungen, ich wurde aber umso mehr zurück in die fesselnde Atmosphäre gesogen, die die Serie bereits aufgebaut hatte. 

Schreibstil: Walter Tevis schreibt sehr nüchtern und beinahe emotionslos, sodass sich dieser Roman mehr wie eine Aneinanderreihung von Geschehnissen wirkt als eine lebendige Erzählung. In Kombination mit den häufig seitenweisen Schachbeschreibungen, über die ich als Laiin nur grob hinweggelesen habe, hätte mich die Geschichte also eigentlich nicht besonders fesseln sollen. Allerdings entwickelt die Geschichte egal ob im Buch oder in der Serie durch subtile Andeutungen und raffinierte Zeitsprünge dennoch eine Sogwirkung, die selbst nicht-Schach-Fans mitfiebern lässt. Die Besessenheit der Figur mit diesem Spiel, die Herangehensweise des Lernens, das Spielen im Kopf und die Rolle als Rettungsanker in einem ansonsten von derben Rückschlägen geprägten Leben hat mich inhaltlich an Stefan Zweigs "Schachnovelle" erinnert, welche mich damals beim Lesen ebenfalls sehr fasziniert hat. Dabei erzählt der Roman genau wie die Serie trotz des Settings in den 60er Jahren eine feministische und moderne Geschichte einer Frau, die sich trotz schlechter Startvoraussetzungen, Kindheitstraumata und Substanzabhängigkeit an die Spitze einer männerdominierten Domäne kämpft. Dennoch merkt man am Umgang mit einigen Themen sowie vereinzelten Formulierungen, dass der Roman bereits 1983 veröffentlicht wurde. Denn hin und wieder scheinen klassische Rollenbilder und internalisierter Rassismus leicht durch und zusätzlich gibt es eine fragwürdige Szene, die scheinbar ohne Grund zu Beginn auftaucht und nie aufgearbeitet wird, welche in einer Neuveröffentlichung wohl nicht vorkommen würde und auch in der Serie gestrichen wurde. 

Figuren: In der Serie habe ich bereits sehr großen Gefallen an der Hauptfigur Beth Harmon gefunden, die erstklassig von Anya Taylor-Joy verkörpert wird. Die Darstellerin vermochte es nuanciert die Höhen und Tiefen in der Entwicklung und Erfolgsgeschichte ihrer Figur darzustellen und Beth zu einer komplexen Figur mit einer faszinierenden Mischung aus Verletzlichkeit, Intelligenz und Ehrgeiz zu machen. Auch im Roman werden die vielen Facetten von Beths Charakter großartig gegenübergestellt: die Dämonen der Figur, die sich in Alkohol- und Drogensucht äußern und dem Rausch des Sieges einen bitteren Beigeschmack verleihen, der schmale Grat zwischen Genie und Wahnsinn und zuletzt die Beziehungen zu den Nebenfiguren, die das langsame Erwachsenwerden der Figur begleiten. Allerdings hat mir hier an einigen Stellen etwas Tiefe gefehlt, da der Autor mit seiner nüchternen Erzählweise über viele emotional schwierige Szenen in Beths Leben ziemlich schnell hinweggeht. Beths Emotionen und Gedanken bei tiefen Einschnitten in ihrem Leben wurden für mich in der Serie deutlicher als im Roman, weshalb ich mir nicht sicher bin, ob die Geschichte auf mich einen ebenso großen Eindruck hinterlassen hätte, wenn ich die Serie zuvor nicht bereits gesehen hätte. So konnte ich gedanklich Leerstellen mit meiner Erinnerung aus der Serie füllen und die Geschichte trotzdem vollends genießen. 


Die Zitate

“It's an entire world of just 64 squares. I feel safe in it. I can control it; I can dominate it. And it's predictable. So, if I get hurt, I only have myself to blame.”

“She was alone, and she liked it. It was the way she had learned everything important in her life.”

“My experience has taught me that what you know isn’t always important.” “What is important?”
“Living and growing,” Mrs. Wheatley said with finality. “Living your life.”

“And what did being women have to do with it? She was better than any male player in America. She remembered the Life interviewer and the questions about her being a woman in a man's world. To hell with her; it wouldn't be a man's world when she finished with it.”

Das Urteil

"Das Damengambit" ist eine facettenreiche und fesselnde Charakterstudie über den Werdegang des fiktiven Schachgenies Beth Harmon, dessen nüchterner Schreibstil man allerdings mögen muss. Fans der Serie werden hier voll auf ihre Kosten kommen, andere könnten sich womöglich am nicht ganz zeitgemäßen Umgang mit einzelnen Themen sowie fehlender Tiefe in ausgewählten Szenen stören. Für mich handelt es sich hier also um einen der wenigen Fällen, in dem die Verfilmung tatsächlich besser gelungen ist als die Buchvorlage!


*keine WERBUNG, gehört über Bookbeat*

Quelle Informationen: Amazon.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

8 Kommentare:

  1. Schönen guten Morgen!

    Ich hab das Buch ja auch nach der Serie gelesen, die ich absolut großartig fand - und auch mir ging es so, dass ich beim Lesen viele der Szenen vor Augen hatte.
    Die nüchterne Schreibweise ist mir auch aufgefallen, die hat für mich aber sehr gut Beths Gefühle widergespiegelt, die durch die ganzen Umstände ihres Lebens sich nicht erlaubt hat, zu viel zu empfinden, um nicht verletzt zu werden. So war zumindest mein Eindruck.
    Die "fragwürdige Szene" am Anfang, die du erwähnst, weiß ich grade gar nicht mehr... was war das denn für eine?

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Guten Morgen,

      ich finde jetzt nachträglich wirklich Wahnsinn, wie unfassbar gut die Serie nach dem Buch verfilmt ist. Vom Casting über die Kostüme bis hin zur Handlung, Atmosphäre und einzelnen Details ist ja wirklich alles aus dem Roman aufgegriffen!!!
      Ich fand die nüchterne Schreibweise auch sehr passend zu Beths Charakter und fand auch toll, wie das in der Serie umgesetzt wurde, das war also gar nicht mein Problem. Eher die beinahe belanglose Erwähnung von einschneidenden Ereignissen, z.B. den Tod ihrer Mutter. Da hat man in der Serie deutlich mehr emotionale Tiefe gehabt...
      Mit der fragwürdigen Szene meinte ich übrigens den sexuellen Übergriff von Jolene auf Beth als sie Kinder waren. Dieser kam in der Serie nicht vor und wurde zu keinem Punkt in der Handlung nochmal aufgegriffen und hat auch die Beziehung der beiden in keinster Weise beeinflusst. Das fand ich seltsam, unglaubwürdig und irgendwie hatte ich den Eindruck, das kam nur vor um zu schockieren.... Keine Ahnung was ich davon halten soll...

      Liebe Grüße
      Sophia

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    2. Hm, an die Szene kann ich mich grade nicht so erinnern muss ich gestehen... geschrieben wurde es 1983, es spielt in den 50er Jahren - wenn ich beides zusammen nehme kann ich mir gut vorstellen, dass dieser Übergriff in der Handlung gar keine so große Rolle spielt bzw. gespielt hat, wie ihn wir heute sehen. Sowas war üblich (und ist es wahrscheinlich noch), und früher wurde das oft einfach hingenommen bzw. als "normal" angesehen. Das sage ich jetzt mal aus meinen Erfahrungen und Eindrücken aus meiner Kindheit. Ich bin 1975 geboren ...
      Das wurde totgeschwiegen und fertig. Warum der Autor so eine Szene mit aufgenommen hat, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht weil es oft vorkam, er oft davon gehört hat, oder irgendwie damit in Berührung kam? Da kann man nur mutmaßen. Dass nicht mehr darauf eingegangen wurde zeigt für mich eben wieder, dass sowas damals "nicht der Erwähnung wert" war.
      Aber ich kann da auch nur was reininterpretieren ...

      Dass einschneidende Ereignisse auch so belanglos erwähnt wurden zeigt, dass Beth auch wenig davon berührt wurde. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie ihre Gefühle nicht zulässt bzw. nicht zulassen kann, als Schutz, weil es sonst zu schmerzhaft wäre.

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    3. Ja das kann gut sein. Ich hatte ja auch geschrieben, dass das für mich einer der Punkte war, an dem man bemerkt hat, dass das Buch nicht ganz zeitgenössisch, sondern schon 40 Jahre alt ist. Deine Vermutung, dass das einfach nichts war, worüber man zu der Entstehungszeit der Geschichte groß nachgedacht oder worüber man gesprochen hätte, kann ich mir gut vorstellen. Ich finde es sehr interessant, dass mir das sofort aufgefallen ist und ich mich an dieser Szene so sehr gestört habe (nicht nur, was Beth passiert ist, sondern vor allem wie der Autor damit umgegangen ist - nämlich gar nicht), weil das zeigt, wie sich die Perspektive wohl verändert hat und ein modernes Bewusstsein dafür aus mir spricht.
      Auch was manche rassistischen Ausdrücke anging ist mir aufgefallen, dass diese in einem modernen Buch vielleicht anders geframed gewesen wären. Das ist kein direkter Kritikpunkt, sondern einfach nur eine Beobachtung gewesen und ich fand sehr interessant, dass sowohl die rassistischen Begrifflichkeiten wie das N-Wort als auch diese Szene in der Serie nicht vorkamen.

      Ja das kann sein. Da ich kein anderes Buch des Autors gelesen habe, kann ich nicht einschätzen, ob es sein genereller Schreibstil ist, oder ob er sich aktiv für seine Figur für diese eher distanzierte Art der Erzählung entschieden hat. Insgesamt kamen für mich bei der Serie einfach mehr Emotionen an als beim Buch - was auch für die grandiose Leistung der Schauspielerin spricht, die ja auch sehr minimalistisch und nüchtern spielt...

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    4. Ich kenne ja auch kein anderes Buch von ihm und weiß deshalb auch nicht, ob dieser Stil für ihn typisch ist. Ich fand es aber hier einfach sehr passend - und ja, die Schauspielerin hat das wirklich sehr genial rübergebracht! Die fand ich eh so super ausgewählt für diese Rolle. Überhaupt alle Beteiligten, auch das Setting mit den Frisuren, Klamotten, der Musik, das war einfach richtig gut gemacht :)

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    5. Ja finde ich auch! Der Cast, die Kostüme und alles drumherum waren einfach klasse gemacht! Auch dass die Handlung nicht ewig gezogen wurde, sondern sie das Miniserienformat ausgenutzt haben, hat mir sehr gut gefallen! Ich bin auch wirklich froh, dass es keine zweite Staffel geben wird. Mit der kleinen zusätzlichen Abrundung in der Serie (im Buch war mir das Ende doch ein bisschen zu plötzlich) finde ich die Geschichte wunderbar zu Ende erzählt. Eine weitere Staffel könnte da eher viel kaputt machen. Demnach bin ich froh, dass an den Gerüchten um eine Forsetzung doch nichts dran ist und Netflix bestätigt hat, dass es nicht weitergeht.

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    6. Im ersten Moment hatte ich mich gefreut, als das Gerücht aufkam - aber du hast schon recht: die Geschichte ist erzählt und mit einer Fortsetzung würden sie wahrscheinlich nicht punkten können.

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    7. Ja genau, ich hätte mich schon auch gefreut, noch mehr von Beth zu sehen, aber ich denke sie haben bereits einen guten Abschluss gefunden...

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