Allgemeines
Titel: Beklaute Frauen - Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte
Autorin: Leonie Schöler
Verlag:
Penguin (28. Februar 2024)
Genre: Sachbuch
ISBN: 9783641309961
Seitenzahl: 417 Seiten
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Inhalt
Bewertung
Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen.
Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe, die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!
Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind...
Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt.
Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.
Ahoi Sophia,
AntwortenLöschenach wie schön, dass es dir auch so gut gefallen hat :) Und ja, ich weiß, was du mit dem roten Faden meintest - hat mich aber wie dich wenig gestört, da ich ja sowieso super viel Sachbücher lese und daher auch die verschiedenen Stile mag; mal halt mehr sachlich-strukturiert und dann persönlich-mäandernder :D
Liebe Grüße
Ronja von oceanloveR
Hey Ronja,
Löschenja vielen Dank nochmal für den tollen Tipp!
Ich weiß unterschiedliche Stile bei Sachbüchern auch sehr zu schätzen. Für mich kommt es aber immer auf das Thema und den Anspruch des Sachbuches an, welchen Ton ich bevorzugen würde. Geht es um ein sehr klares Thema, bei dem sich dann allerdings fast ausschließlich auf Meinungen und persönliche Erfahrungen und sehr wenig auf wissenschaftliche Fakten bezogen wird, kann mich das durchaus sehr stören. Genauso kann ich mich über eine extrem trockene, rein faktische Beschäftigung mit einem Thema, das eigentlich von persönlichen Meinungen und Diskussion lebt, ärgern...
Solange das inhaltliche Fundament stimmt (und die Autorin hat hier ja wirklich sehr gut recherchiert und das Thema so breit wie möglich ausgerollt), finde ich es sehr erfrischend, auch von eigenen Erfahrungen zu lesen und auch mal von Fakten hin zu Meinungen zu driften (sofern das transparent wird).
Liebe Grüße
Sophia
Da kann ich dir nur zustimmen :)
LöschenSchönes Wochenende!
Ronja
Danke, dir auch!!!
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