Freitag, 29. November 2024

Beklaute Frauen - Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte


Allgemeines

Titel: Beklaute Frauen - Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte
Autorin: Leonie Schöler
Verlag: Penguin (28. Februar 2024)
Genre: Sachbuch
ISBN: 9783641309961
Seitenzahl: 417 Seiten
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Inhalt

Muse, Sekretärin, Ehefrau – es gibt viele Bezeichnungen für Frauen, deren Einfluss aus der Geschichte radiert wurde. Für deren Leistungen Männer die Auszeichnungen und den Beifall Wissenschaftlerinnen, deren Errungenschaften, im Gegensatz zu denen ihrer männlichen Kollegen, nicht anerkannt wurden. Autorinnen, die sich hinter männlichen Pseudonymen versteckten. Oder Künstlerinnen, die im Schatten ihrer Ehemänner in Vergessenheit geraten sind. Lebendig und unterhaltsam erzählt die Historikerin Leonie Schöler ihre Geschichten, sie zeigt, wer die Frauen sind, die unsere Gesellschaft bis heute wirklich vorangebracht haben. Und sie verdeutlicht, wie wichtig die Diskussion um Teilhabe und Sichtbarkeit ist. 


Bewertung

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen. 

Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe, die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf  historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!

Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind... 

Was "Beklaute Frauen" von anderen Sachbüchern dieser inhaltlichen Schlagrichtung abhebt, ist dass sie weit über  die reine Auflistung von Biografien hinausgeht und vielmehr nur unter Zuhilfenahme exemplarischer Fälle erklärt, welche Hintergründe des Systems dazu geführt haben, dass die Frauen in diesem Feld übergangen wurden und vor allem auch wie diese Strukturen bis heute andauern und Einfluss nehmen. Wie kommt es, dass noch immer Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, weniger wissenschaftliche Preise gewinnen, weniger Geld verdienen, weniger Grundbesitz haben und seltener in Museen, Galerien, Schulbüchern oder Reportagen erwähnt werden? Die klare Antwort: 

"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält." 

So machen die Schicksale von Betrug, Diebstahl und Machtmissbrauch einerseits wütend, sensibilisieren aber auch dafür, welche Strukturen es heute noch gibt. Dadurch hatte ich beim Lesen den ein oder anderen "Aha-Effekt" und bin über viele Misskonzeptionen gestolpert, die mein bisheriges Wissen geprägt haben und die ich zunächst kaum glauben konnte. Dass die fachliche Expertise der Autorin aber nicht anzuzweifeln ist, zeigt unter anderem das sehr ausführliche Literaturverzeichnis, das sich mit über 700 Fußnoten über 70 Seiten erstreckt und für alle Zweifler die solide Recherche der Autorin untermauert. Für LeserInnen, die sich tiefer mit dem Thema befassen möchten, bietet sie zudem zahlreiche weiterführende Literaturempfehlungen an. 

Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt. 

Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.

"Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten. Manche Menschen verfügen jedoch historisch gewachsen über deutlich mehr Ressourcen als andere, um sich Gehör zu verschaffen, eigene Interessen durchzusetzen und die gesellschaftlichen Regeln dadurch zum eigenen Vorteil mitzubestimmen."

Fazit

"Beklaute Frauen" ist ein wertvolles Sachbuch, das historische Ungerechtigkeiten nicht nur aufzeigt, sondern auch erklärt und kontextualisiert. Trotz kleiner Schwächen – etwa beim roten Faden und gelegentlicher Subjektivität – ist es eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!


*unbezahlte WERBUNG, Rezensionsexemplar*

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar, was meine ehrliche Meinung jedoch nicht beeinflusst hat. Quelle Informationen: Amazon.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

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