
Allgemeines
Titel: Katabasis
Autorin: R. F. Kuang
Verlag:
HarperVoyager (26. August 2025)
Genre: Fantasy
Seitenzahl: 559 Seiten
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Inhalt
Bewertung
"Katabasis" ist wirklich schwer zu rezensieren, da die Geschichte zugleich ganz anders als erhofft und irgendwie doch genau wie erwartet war. Mit komplexem Setting, philosophischen Fragen, literarischen Referenzen und einem emotionalen Kern ist es ein echter Kuang, aber deutlich weniger handlungsfokussiert als der Klapptext verspricht. Statt einem spannenden Abenteuer in der Hölle erleben wir auf den knapp 600 Seiten eher ein langsames, bedachtes, intensives Abtauchen in eine vielschichtige Welt und die Abgründe komplexer Figuren. Das Endergebnis ist ein Werk, das gleichzeitig überrascht, herausfordert, begeistert, langweilt und gelegentlich verwirrt...
Mit diesem Abstieg beginnt die Autorin ohne Umschweife bereits im ersten Kapitel und noch bevor wir genau wissen, worum es überhaupt geht, reisen wir mit Alice und Peter in die Hölle. Die Hintergründe zu beiden Figuren, ihrer Beziehung zueinander sowie der Verbindung zu Professor Grimes werden erst in Rückblicken schrittweise in die Handlung eingeflochten, sodass erst mit der Zeit klar wird, wieso die beiden überhaupt in die Unterwelt gereist sind. In den xx Kapiteln wird die gegenwärtige Handlung in der Unterwelt also durchweg übergangslos mit Erinnerungen an die Vergangenheit, innere Monologe, Dialoge und Träumen vermischt. Diese nicht-lineare Struktur ermöglicht es, die inneren Konflikte der Figuren langsam offenzulegen und Reflexionen über Schuld, Verlust und Ambivalenz direkt in die Handlung mit einzubauen, was ich als sehr reizvoll empfand. Im späteren Verlauf, etwa ab der Hälfte des Buches, beginnt jedoch eine Sättigung einzutreten, da eigentlich alle wichtigen Informationen vorliegen, sodass diese Rückblicke etwas redundant wurden und begannen die Handlung auszubremsen. Trotz der Tatsache, dass der Fokus der Autorin eindeutig weniger auf äußeren Ereignissen als auf der inneren Auseinandersetzung der Protagonisten mit ihrer eigenen Erlebniswelt liegt, hätte ich mir besonders im letzten Drittel einen etwas schlankeren Spannungsbogen gewünscht.
Ebenso zur Überfrachtung tendiert auch der kontextuelle Rahmen der Geschichte. Die Autorin hat ihren Roman in den Universitätskontext in Cambridge der 1980er Jahre, eingebettet. Das gibt ihr die Möglichkeit, die rigiden, oft diskriminierenden Strukturen der akademischen Welt zu kritisieren und auf Themen wie Leistungsdruck und Ausbeutung, psychische Erschöpfung, strukturelle Misogynie, sexuelle Belästigung und die Nachwirkungen des 2. Weltkrieges in Forschungskreisen einzugehen. Eine Möglichkeit, die sie mit gekonnten Spitzen und Kommentaren immer wieder ausnutzt. Kombiniert wird dieses realhistorische Setting mit einem Magiesystem, das eng mit dieser intellektuellen Welt verknüpft ist und auf Kreide, Logik, Sprache und mathematischen Paradoxien beruht. Sorgfältig gezeichnete Pentagramme, Beschwörungsformeln auf toten Sprachen, mathematische Beweise, logische Widersprüche und akademische Quellenrecherche sind der Stoff, aus dem hier die Magie gemacht ist. Ein sehr interessantes, aber auch durchaus komplexes Magiesystem, in das man als LeserIn entweder gedanklich voll einsteigen, oder aber daran vorbeilesen und sich eher berieseln lassen kann. Denn so viel Freude es mir bereitet hat, über manche der Paradoxien nachzudenken, so sehr hat es die Autorin an anderen Stellen übertrieben mit philosophische Exkurse, mathematischen Referenzen und intellektuellen Ausschweifungen. Es wirkt teilweise, als hätte R. F. Kuang verzweifelt versucht, alles in die Geschichte einzubauen, was sie in ihren Recherchen erfahren hat und dadurch ab und zu die narrative Spannung aus den Augen verloren.
Neben dem zeitlichen Kontext und dem Magiesystem ist natürlich der Schauplatz der Hölle zentral für den Roman. Das klassische Motiv einer Heldenreise, eines Abstiegs in die Unterwelt, einer Katabasis, ist hier modern und multikontextuell interpretiert. Die Hölle, durch die Alice und Peter reisen verbindet Vorstellungen verschiedener Kulturkreise (christliche Glaubenslehre, chinesische Mythen, griechische Mythologie, etc.) und integriert zugleich eine Vielzahl literarischer Klassiker (Dante, Virgil, Orpheus, etc.). Ein gewisses Grundwissen würde ich für die Lektüre deshalb voraussetzen, sonst wird man vieles nicht verstehen und frustriert sein. Kennt man sich ausreichend aus, ist das Ergebnis ein vielschichtiger, atmosphärisch dichter Ort, der zugleich faszinierend und verstörend wirkt. Die Unterwelt ist hier nicht mythologisch oder romantisiert, sondern eher wie ein verfallendes Verwaltungssystem oder eine dysfunktionale Institution gestaltet – eine Mischung aus Bürokratie und Surrealismus. Je weiter die beiden in die acht Kreise der Hölle eintauchen, desto abstrakter und schwerer zu folgen werden allerdings Handlung und Umfeld. Bei Flussfahrten im hyperbolischen Raum, dreidimensionalen Fallen und abstrakten Jägern stieß ich schließlich immer wieder an die Grenzen der eigenen Fantasie. Besonders im letzten Drittel gab es einige Szenen (z.B: in der Citadelle), in der mich die Autorin komplett verloren hat. Dennoch bleibt diese Welt ein außergewöhnliches Beispiel für die Verschmelzung von Mythos, Literatur und Religion.
Weshalb sollte man sich auf diese anspruchsvolle, atmosphärische, aber gelegentlich auch ermüdende Reise machen? Wegen Alice Law! Die weibliche Hauptfigur, eine geniale aber chronisch überarbeitete Doktorandin, die bereits mit mehr als einem Fuß in der Burnout-Falle steht, ist das Herzstück des Buches und als Figur geradezu ein Kunstwerk. Sie ist vielschichtig, komplex, emotional zurückhaltend und nicht immer sympathisch, aber stets glaubwürdig dargestellt. Egal ob sie über Feministinnen die Augen verdreht oder ihren Doktorvater trotz schlimmer Misshandlungen zu rechtfertigen versucht - man muss nicht mit ihr einer Meinung sein, um verstehen zu können, weshalb sie so denkt und handelt.
Durch R. F. Kuangs nüchternen, akademischen, reservierten Schreibstil, fühlt man sich ihr nicht immer nahe, aber emotionale Momente wirken dafür umso kraftvoller. Ihre innere Reise, ihre Reflexionen über Schuld, Verlust und die eigene Identität, die Heilung ihrer angeknacksten psychischen Gesundheit, ihre Charakterentwicklung bilden die emotionale Basis des Romans. Ihr Gegenstück, Peter Murdoch, lernen wir durch ihre Augen als ambivalente Figur kennen, deren Motive lange Zeit bewusst rätselhaft bleiben. Die Beziehung zwischen Alice und Peter wird dabei nicht erzwungen, sondern langsam und organisch durch Rückblicke, Erinnerungen und subtile Interaktionen aufgebaut. Sie bleibt allerdings genau wie die sparsam eingesetzten Nebenfiguren (wie Elspeth oder die Kripkes) stark im Hintergrund, sodass Alices emotionale Reise im Vordergrund steht.
Nach 559 Seiten endet "Katabasis" mit einem runden Abschluss, bei dem bei aller Liebe für die Geschichte allerdings auch etwas Erleichterung mitschwang, den Roman abgeschlossen zu haben. Denn "Katabasis" ist zwar ein Werk von beeindruckender intellektueller Tiefe, atmosphärischer Dichte und psychologischer Komplexität, dessen Stärken ganz klar in der Charakterzeichnung, der originellen Weltgestaltung und der subtilen emotionalen Intensität liegen. Auf der anderen Seite machen die minimale Handlung, das überfrachtete Worldbuilding und die vielen Referenzen die Lektüre auch recht anstrengend. Ich würde das Buch also vor allem für LeserInnen empfehlen, die introspektive, thematisch anspruchsvolle Fantasy mit akademischem Fokus mögen, etwas Vorwissen sowie vor allem genug Geduld und analytische Aufmerksamkeit mitbringen.
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