Dienstag, 6. Mai 2025

Das Gedächtnis von Babel


Allgemeines

Titel: Das Gedächtnis von Babel
Autorin: Christelle Dabos
Verlag: Insel Verlag (17. November 2019) 
Genre: Fantasy
Seitenzahl: 515 Seiten
Weitere Bände: Die Spiegelreisende 1-4 "Die Verlobten des Winters", "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" und "Im Sturm des Echos"
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Inhalt

Fast drei Jahre hat Ophelia Thorn nicht mehr gesehen. Auf ihre Heimatarche Anima verbannt, fristet sie ein ereignisloses Dasein. Bis sie auf eine Postkarte stößt, die ihr einen wertvollen Hinweis gibt. Und so reist sie heimlich nach Babel, einer Arche mit strikten Vorschriften und argwöhnischen Bewohnern, die Robotern mehr gleichen als Menschen. Dort angekommen, muss sie sich als "Lehrling" beweisen und sieht sich plötzlich in eine tödliche Geschichte verstrickt...
Auf einer Arche, die aus tausend Inseln besteht und wo Menschen mechanisch absurden Gesetzen folgen, muss sich Ophelia allein durch ein immer bedrohlicheres Geflecht an Lügen kämpfen - und kommt auf ihrer Suche nach Thorn der "letzten Wahrheit" riskant nah.


Bewertung

Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Geheimnisse, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. Auch "Das Gedächtnis von Babel" ist eine wendungs- und aufschlussreiche Ergänzung der Reihe, die einige Fragen beantwortet und weitere 515 Seiten voller Fantasie, Abenteuer und Rätsel zum Entdecken bereithält!

"Es wird einmal in nicht allzu ferner Zeit die Welt endlich in Frieden leben. In jenen tagen wird es neue Männer geben und es wird neue Frauen geben. Dies wird das Zeitalter der Wunder sein."

Optisch ist "Das Gedächtnis von Babel" nahe an der Gestaltung von Band 1 und 2 gehalten. Während wir zuvor jeweils die Handlungsorte am Pol in blau und gelb gesehen haben, ist hier nun die Metropole Babels in mintgrün abgebildet. Die wunderschöne Illustration fängt wieder die geheimnisvolle, verträumte Stimmung des Romans ein und macht das Buch zu einem echten Hingucker im Regal. Auch innen überzeugt die Gestaltung abermals mit einer stilvollen Kapitelgestaltung und einer Weltkarte der Archen, die für einen Überblick über alle bereits vorgestellten Welten sehr hilfreich ist.

Erster Satz: "Die Uhr näherte sich in beachtlichem Tempo."

Spätestens seit dem turbulenten Ende von Band 2 war ich endgültig in Christelle Dabos´ Erzählkosmos angekommen und mehr als gespannt, wie es mit Ophelia, Thorn, Faruk, Gott und der Welt weitergeht. Dementsprechend entsetzt war ich zu sehen, dass "Das Gedächtnis von Babel" nach einem dreijährigen (!!!) Zeitsprung beinahe neu ansetzt und zunächst alle perfekt aufgereihten Anknüpfungspunkte von Band 2 zu vernachlässigen scheint. So beobachten wir, wie Ophelia auf Anima Trübsal bläst und versucht, aus ihrem Exil heraus, Spuren ihres Ehemanns Thorn zu finden. Als sie mithilfe von Archibald, Reineke und Gwenael auf eine Windrose stößt, führt sie eine vielversprechende Spur auf die Arche Babel. An der Akademie der "Guten Familie" im Memorial, das den Anspruch erhebt, "Das Gedächtnis der Welt" zu sein, hofft sie nicht nur Thorn wiederzufinden, sondern auch neues über "Gott" und den rätselhaften "Anderen" zu erfahren, den sie bei ihrer ersten Spiegelreise befreit zu haben scheint. 

"Denk selbst nach, kleiner dummer Mensch, anstatt stumpf zu wiederholen, was man dir vorsagt!"

Auch wenn Band 3 anders als seine beiden Vorgänger von Beginn an spannend startet, fiel mir der Einstieg der ersten 100 Seiten eher schwer, da ich einfach etwas ganz anderes von Band 3 erwartet hatte. Über meinen anfänglichen Schock über den großen Zeitsprung kam ich dann aber recht schnell hinweg, da mit einer neuen Arche, neuen Familienkräften, zwei unbekannten Familiengeistern, der besonderen Gesellschaftsstruktur der Metropole, den Intrigen in der Akademie und geheimnisvollen Todesfällen, die es zu ergründen gilt, einiges zu entdecken ist. Bis die Handlung richtig durchstartet, gehen zwar auch wieder einige Seiten ins Land, allerdings besteht kein Vergleich mit den trägen Durststrecken, die es in Band 1 und 2 gegeben hat. Christelle Dabos nimmt sich aber auch hier ohne Frage viel Zeit, ihr neues Setting zu erkunden - nach Anima und dem Pol die dritte der einundzwanzig Archen, in die die Welt nach dem sogenannten "Riss" zerbrochen ist... 

"Zu eurer Information, junge Dame, Frieden ist lediglich eine Vision. Es gab und wird stets Konflikte geben, welche Gestalt sie auch immer annehmen. Neutralität ist eine hübsche Art, Feigheit zu sagen."

Hier zeigt sich abermals, wie viel Herzblut die Autorin in die Erstellung ihrer Welten gesteckt hat. So sind das politische Klima sowie die gesellschaftlichen Konventionen Babels genau wie die des Pols oder Animas ein Spiegel der Fähigkeiten der dort lebenden Menschen. Während die Illusionen und das kalte Klima des Pols eine vergnügungssüchtige, ausschweifende High-Society hervorgebracht haben, schlagen sich das reiche, tropische Klima und die gesteigerten Sinne der Nachfahren der Zwillingsgeister Pollux und Helene in einem kosmopolitischen, aufgeklärten Hort des Wissens nieder, das allerdings von strengen Regeln, Konformität und Zensur bestimmt wird. Auch hier gibt es mit den Lords von Lux eine herrschende Elite, die Gott zu dienen scheint. Da in Babel außerdem Menschen aus anderen Archen leben, lernen wir nebenbei auch die Kräfte anderer Familien kennen und können bereits spekulieren, wie das Leben auf den übrigen Archen aussehen könnte. Dabei werden alle neuen Informationen wie gewohnt eher beiläufig gegeben und es bleibt weiterhin vieles offen und angedeutet, sodass es weiterhin noch einiges zu entdecken gibt! So wird das Bild der Welt, das die Autorin in ihren vier Bänden zeichnet, hier nochmal um einiges reicher und abermals wird ganz klar bestätigt: Das Worldbuilding ist zweifellos eine der größten Stärken der gesamten Reihe  und eines der kreativsten und originellsten im Fantasy-Genre. 

"Ophelia blinzelte geblendet: Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um den Turm der Gedenkstätte ganz mit einem Blick zu erfassen. Seine Größe war so kolossal, seine Glaskuppel so strahlend, dass man ihn für einen Leuchtturm halten konnte, der die gesamte Welt erhellen sollte."

Auch wenn auf der neuen Arche ein beinahe neuer Handlungsstrang zu starten scheint, kommt etwa ab der Hälfte einiges in Bewegung und es werden erstmals einige der "großen Fragen" der Reihe beantwortet. Wer ist "Gott", welche Rolle spielen die Hausgeister, wer ist "der andere", wie ist die Welt zerbrochen? Nachdem wir in Band 2 Klarheit zu den Büchern der Hausgeister erhalten haben, deren fehlende Seiten die zwanzig Geister zu schlechtem Gedächtnis und Zerstreutheit verdammt haben, gehen wir nun noch weiter zurück und erfahren, wie sie aufgewachsen sind. Auch wenn sich die Autorin weiterhin durch subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und immer wechselnde Fragen bedeckt hält, beginnen sich die ersten Schnipsel des Puzzles langsam zusammenzusetzen. Ganz wird der Schleier des Geheimnisvollen aber natürlich noch nicht gelüftet, sodass ich sehr gespannt bin, welche großen Erkenntnisse in "Im Sturm des Echos" noch auf uns warten. 

"Das ist doch mal wieder typisch für dich. Wenn du dich in den Schlamassel reitest, dann richtig. Da gibt es keine halben Sachen."

Neben der Vorstellung der neuen Arche und den Geheimnissen, die im Memorial auf uns warten, steht in diesem dritten Teil aber vor allem Ophelias Entwicklung im Vordergrund. Abermals in einer neuen Umgebung auf sich allein gestellt, muss sie über sich hinauswachsen und sich selbst, ihren Ängsten und auch ihren Wünschen stellen. Auch wenn sie sich im Kern selbst treu bleibt, ist die Ophelia, die wir gegen Ende sehen, sehr weit von dem passiven Mädchen entfernt, die wir zu Beginn in Anima kennengelernt haben. Auch ihre Beziehung zu Thorn entwickelt sich hier wesentlich weiter, auch wenn die beiden weiterhin kaum gemeinsame Szenen, geschweige denn eine offene Kommunikation über ihre Gefühle haben. Ihre seltsamen Interaktionen und das Fehlen jeglicher offensichtlicher Zuneigung, machen sie als Paar aber nur noch charmanter!

"Ophelia hatte schon einige ungewöhnliche Situationen erlebt. Im selben Zimmer mit einem Säbelzahntieger Orchestermusik zu hören war jedoch zweifellos einer der allerungewöhnlichsten."

Christelle Dabos erzählt hier weiterhin aus der personalen Erzählperspektive von Ophelia, wechselt hier aber erstmals auch gelegentlich in eine zweite Erzählperspektive und zwar in die der dreijährigen Viktoria. Ophelias Patentochter, Tochter von Berenilde und Faruk, bildet eine dünne Verbindung zu den restlichen Figuren aus Band 1 und 2 wie Tante Rosaline, Madame Berenilde, Archibald und den restlichen Figuren des Pols, die hier sonst komplett aus dem Fokus rücken, um Platz für Ophelia, Thorn und neue Figuren in Babel wie Elizabeth, Octavius oder Blasius zu machen. In den kurzen Abschnitten aus Viktorias Sicht erfahren wir allerdings nicht nur, wie es den ans Herz gewachsenen Nebenfiguren in der Zwischenzeit ergangen ist, sondern beobachten aus ihrer ganz speziellen Perspektive - sie kann weder gehen noch sprechen, allerdings außerkörperliche Astralreisen unternehmen - Gottes Suche nach einem Zugang zu Erdenbogen... Wie die Autorin nun alle Stränge in Band 4 zusammenführen und die Geschichte zu einem runden Abschluss bringen wird, bin ich nun sehr gespannt!!!

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."


Fazit

"Das Gedächtnis von Babel" ist eine überraschend temporeichere Fortsetzung, die unerwartet an einen neuen Ort entführt, die Figurenentwicklung vorantreibt und einige Fragen beantwortet. Auch wenn ich mir anfangs einen anderen Fortgang der Geschichte erhofft hatte, war Band 3 bisher der stärkste Band für mich!


*keine WERBUNG, selbstgekauft*

Quelle Informationen: Goodreads.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

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