Samstag, 10. Mai 2025

Emily Wildes Atlas der Anderswelten


Allgemeines

Titel: Emily Wildes Atlas der Anderswelten
Autorin: Heather Fawcett
Verlag: Fischer (26. Juni 2024)
Genre: Fantasy
Originaltitel: Emily Wilde’s Map of the Otherlands (übersetzt von Eva Kemper)
Seitenzahl: 448 Seiten
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Inhalt:


Emily Wilde ist die führende Expertin in Sachen Feen in Cambridge, und ihr neues Forschungsprojekt ist revolutionär: Sie möchte eine Karte der Anderswelten zeichnen, um die verschlungenen Wege dieser zauberhaften Wesen besser zu verstehen. Ihr Freund und akademischer Rivale Wendell Bambleby unterstützt sie, wo er nur kann, zumal er als exilierter Feenprinz darauf hofft, eines Tages in sein Reich zurückkehren zu können. Eilig hat er es eigentlich nicht damit, doch als magisch begabte Attentäter seiner Mutter in Cambridge auftauchen, die auf ihn und Emily einen Anschlag verüben, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorne anzutreten: Emily und Wendell reisen nach Österreich, wo sie eine Tür zur Anderswelt vermuten, hinter der das Reich der Feenkönigin beginnt.



Bewertung

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im frühen 20. Jahrhundert irgendwo am Rand der Welt sehr vielversprechend klang. Auch wenn das Buch nicht ganz die locker-leichte Geschichte mit märchenhaftem Flair und einem Hauch Romantik bieten konnte, die ich mir erhofft hatte, hat mich Band 1 nach einem schwierigen Einstieg mit einem ganz besonderen Charme bezaubert, sodass ich im Anschluss direkt Band 2 lesen musste!

Erster Satz: "Der  Fuß  passte  nicht  in  meine  Aktentasche,  des-halb wickelte ich ihn in ein Tuch und stopfte ihn in  den  alten  Rucksack,  den  ich  manchmal  bei  meinen  Expeditionen  bei  mir  trage.

Heather Fawcett setzt mit ihrer Handlung im September 1910 an, nachdem Emily und Wendell ihre Arbeit auf Ljösland abgeschlossen, auf einer Konferenz vorgestellt haben und nach Cambridge zurückgekehrt sind. Schon der erste Satz bereitet wieder auf eine exzentrische, aber ganz besondere Geschichte vor. Nachdem ich bei Band 1 zunächst Anfangsschwierigkeiten mit der Erzählweise und dem Erzählton überwinden musste, wusste ich bei Band 2 ja schon, was auf mich zukam. Hier wird ebenfalls wieder in der Form von Tagebucheinträgen in Emilys Forschungstagebuch erzählt, die teils größere Zeitsprünge enthalten und eher nacherzählen, als szenisch zu schildern. Auch wenn ich mich darauf dieses Mal gut einlassen konnte, bringt die ungewöhnliche Erzählweise  genau wie in Band 1 einige Herausforderungen für das Pacing der Handlung mit sich. Genau wie ich es schon beim ersten Band kritisiert hatte, benötigt auch diese Fortsetzung eine Weile, um wirklich in Schwung zu kommen. Zwar ist mit dem Anschlag in Cambridge und einigen neuen Figuren von Beginn an mehr Zug hinter der Handlung, bis Emily und Wendell in den österreichischen Alpen ankommen und ihre Suche nach dem Nexus starten, gehen aber trotzdem wieder einige Seiten ins Land. Außerdem überschlagen sich später im Buch wiederum die Ereignisse, sodass zentrale Wendepunkte und Schlüsselszenen nur knapp in einem Eintrag abgespeist, statt sie wirklich auszukosten. Für dieses Ungleichgewicht im Handlungsaufbau, muss ich leider wieder etwas abziehen. 

Was allerdings nach wie vor großartig ist, ist Heather Fawcetts Schreibstil, der von der ersten Seite an die Atmosphäre des ersten Bandes anknüpfen kann. Ihre Sprache ist durchzogen von trockenem, eigenwilligem Humor, der durch Emilys nüchterne, wissenschaftlich geprägte Tagebuchstimme getragen wird. Durch den eher distanzierte Erzählton muss man zwar viele Gefühlsbeschreibungen und Beziehungsdynamiken zwischen den Zeilen lesen, dabei hilft aber sehr, dass wir die Figuren alle schon besser kennen. Denn wenn man sich erstmal in Emilys Gedankenwelt eingefunden hat, funktioniert das ganz wunderbar und man bekommt kaum genug von der Geschichte. Auch die zeitlichen Rahmenbedingungen der Geschichte rund um die 1910er Jahre sowie die akademische Welt rund um die Dryadologie konnte ich in diesem Band deutlich besser greifen - alles, was sich in Band 1 noch seltsam und nach Arbeit angefühlt hatte, war nun auf charmante Art und Weise schrullig - und hatte großen Spaß mit dem Setting. 

"Nachdem meine Enzyklopädie vollendet war, habe ich meine Aufmerksamkeit, wie Wendell weiß, einem anderen großen Projekt zugewandt – einem Atlas aller bekannten Feenreiche und ihrer Türen. Eine solche Kartensammlung kann nur Stückwerk bleiben – Feenreiche sind oft an bestimmte Orte in der Welt der Sterblichen gebunden, aber nur wenige von ihnen wurden ausreichend erforscht.

Wunderbar weiterentwickelt hat die Autorin auch die Beschreibung der Feenwelt. Mit dem neuen Setting in den österreichischen Alpen, eröffnen sich ganz neue Erzählmöglichkeiten, die sie mit geheimnisvollen Feentüren, in der Zwischenwelt verirrten Wissenschaftlern, düsteren Baumfaunen, Fuchszwergen und der einem kurzen Ausflug in die faszinierenden Welt von Wendells Königreich voll auskostet. Zwar ist die Darstellung des Dorfes St. Liesl minimal klischeehaft, ich habe mich mit Emilys Team aber trotzdem gerne in die Alpen begeben. Nach wie vor sehr gelungen sind dabei die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die sich mit den fremdartigen, magisch-düsteren Feenreichen auf kunstvolle Art und Weise vermischen. Genau wie in Band 1 zeigt die Autorin dabei sehr viel Kreativität und Gespür für das Unheimliche, womit das Worldbuilding ein wenig an die Geschichten von Holly Black oder S. Jae-Jones erinnern. 

Denn - und das muss ich hier nochmal ausdrücklich wiederholen - die Einordnung der  Reihe als "Cozy Fantasy" ist maximal irreführend. Auch wenn die Geschichte großteils eher gemütlich vor sich hinplätschert und durchaus ihre herzerwärmenden Momente hat, ist die Feenwelt weit davon entfernt, süß zu sein. Wer bei Titel und Genrebezeichnung an glitzernde Elfen denkt, die schillernd über bunte Wiesen taumeln, könnte nicht weiter von Heather Fawcetts Version der Feenwelt entfernt sein. Sie zeichnet hier ein exzentrisches Bild der Feenwelt mit komplizierten Regeln, beiläufiger Grausamkeit, verdrehter Schönheit, eiskalter Skrupellosigkeit und gefährlichen Abgründen. Eine faszinierende, wenn auch gewöhnungsbedürftige Mischung, über die man aber gerne noch mehr erfahren möchte. Besonders auf Wendells Königreich bin ich sehr gespannt und hoffe, dass wir in Band 3, "Emily Wildes Kompendium der verlorenen Geschichten" (erscheint im Juni 2025) mehr darüber erfahren. 

"Ich drehte mich um. Mehrere kleine fuchsähnliche Feen standen auf einem Baumstamm am Seeufer. Man hätte sie fast für kleine verkleidete Kinder halten können, wären da nicht das erschreckende Glitzern ihrer winzigen, nadelspitzen Zähne und ihre feuchten, vollkommen schwarzen Augen gewesen."

Apropos faszinierend, wenn auch gewöhnungsbedürftig: Sprechen wir über die Hauptfigur Emily. Es hat in Band 1 zwar eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit ihr warm geworden bin, aber ihre distanzierte, sachliche Art, ihr scharfer Verstand und ihr Hang dazu, sich aus wissenschaftlichem Eifer in Schwierigkeiten zu bringen machen sie zu einer interessanten Protagonistin, der ich nur zu gerne auf ein zweites Abenteuer gefolgt bin. Mit ihrer maximalen sozialen Inkompetenz und ihren Inselbegabungen könnte sie auf dem Autismus Spektrum liegen und ist damit der diametrale Gegenpart zum charismatischen Love Interest Bambleby Wendell. Die Dynamik zwischen den beiden ist schrullig, aber herzerwärmend, genau wie die Nebenfiguren wie beispielsweise der Brownie Poe, Emilys Begleiter Shadow, ihre Nichte Ariadne oder Dekan Rose. Am Ende fand ich es dann sehr schade, alle so schnell wieder zurücklassen zu müssen und warte nun gespannt auf den dritten Teil, der ja zum Glück bald erscheinen wird. 

"Vor mir lag eine Welt der Gefahren, der scharfen Kanten und tiefen Schatten, und ich mochte über umfangreiches Wissen verfügen, aber ich war eine Sterbliche ohne einen Hauch von Magie, die mir den Weg weisen konnte.

Fazit

„Emily Wildes Atlas der Anderswelten“ überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor. Auch wenn die Erzählform und das Pacing weiterhin kleinere Schwächen mit sich bringen, begibt man sich gerne mit Heather Fawcett auf eine weitere faszinierende Reise in die unheimlich-schöne Welt der Feen. 

*keine WERBUNG, selbstgekauft*

Quelle Informationen: Goodreads.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

4 Kommentare:

  1. Schönen guten Morgen!

    Das scheint ja wirklich sehr besonders zu sein und irgendwie erinnert es mich ein bisschen an Lady Trents Memoiren - obwohl da sicher keinerlei Ähnlichkeiten sind ... eigenwillige Schreibstile mag ich ja gerne, weil sie sich von dem typischen "Einheitsbrei" abheben und man damit auch mal aus dem üblichen Leseschema ausbricht.
    Ich hab Band 1 auf der Wunschliste und werde es sicher irgendwann damit versuchen :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Hey Aleshanee,

      dieses Buch hebt sich definitiv sehr erfolgreich vom "Einheitsbrei" ab und geht seinen eigenen Weg. Für den Mainstream eher ungeeignet ist es auf jeden Fall eine Empfehlung für alle, die gerne mal etwas Abwechslung lesen. Nachdem ich mit dem ganzen Erzählkonzept warm geworden bin, bin ich mittlerweile echt ein Fan der Reihe und freue mich sehr auf Band 3!
      Ich kann die Bücher übrigens sowohl auf Deutsch als auch als Englisch und sogar auch als Hörbuch sehr empfehlen - hab alle Formate ausprobiert ;-)

      Liebe Grüße
      Sophia

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    2. Genau sowas mag ich, wenn es mal anders ist und nicht das übliche. Vielleicht versuche ich es dann damit sogar in englisch, mal schauen :)

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    3. Genau! Besonders wenn man viel liest, ist es schön, mal etwas anderes zu haben!
      Ich bin gespannt, was du sagst!

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