Sonntag, 29. August 2021

Filmempfehlung: Chaos Walking



Seit ich im Februar den Auftakt zu Patrick Ness´ Chaos-Walking-Trilogie gelesen habe, bin ich wahnsinnig gespannt auf die filmische Umsetzung des Buches gewesen. Im Juni 2021 war es dann soweit und der Film zu Band 1, welcher im englischen Original "The Knife of Never Letting Go" und im deutschen gleichnamig "Chaos Walking" heißt, ist erschienen. Aufgrund meiner Klausuren bin ich zwar erst vor Kurzem dazu gekommen, den 109 minütigen Science-Fiction Film zu schauen, bin aber alles in allem ganz zufrieden damit.


Darum geht´s:

Todd Hewitt ist der letzte Junge seiner Heimatstadt. Und diese Stadt ist anders. In ihr gibt es keine Frauen. Nur Männer. Und jedermann hört die Gedanken aller anderen. Rund um die Uhr. Es gibt kein Privatleben. Es gibt keine Geheimnisse. Oder doch? Nur einen Monat vor dem Geburtstag, der auch ihn zum Mann machen wird, stolpert Todd unvermutet über einen Ort, an dem absolute Stille herrscht. Und dort trifft er ein Mädchen. Doch das ist unmöglich. Oder haben ihn alle ein Leben lang belogen? Todd kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur. Und nun bleibt ihm nur eines: um sein Leben zu rennen …


Deshalb sollte ich mir den Film ansehen:

Wie bei jeder Buchverfilmung ist die buchgetreue Umsetzung die Messlatte, anhand derer ich "Chaos Walking" bewerte. In den allgemeinen Kritiken kam der Film von Regisseur Doug Liman ("Edge of Tomorrow"), der zehn Jahre Produktionszeit und eine Menge Hin und Her inklusive Nachdrehs und Last-Minute-Änderungen hinter sich hat, nicht besonders gut angekommen. Ich finde ihn aber weitaus besser als die geläufige Meinung, da er zwar im Vergleich zum Buch viel Tiefe, Atmosphäre und Spannung einbüßt, an manchen Stellen aber dafür sogar besser funktioniert als die Vorlage.

Am meisten gespannt war ich natürlich auf die Umsetzung des Settings. Patrick Ness hat für seine Geschichte ein außerirdisches, sehr ursprüngliches, naturbelassenes Setting gewählt, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder den Spackle-Ureinwohnern bewohnt werden und der von zwei Sonnen erhellte Himmel niemals dunkel wird. Darüberhinaus sind alle Männer tagtäglich von ihren eigenen Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen umgeben, die sie ungefiltert als sogenannten "Lärm" in die Umgebung hinausposaunen. Ohne Filter, sagt Hauptfigur Todd im Vorspann, sei ein Mensch das Chaos auf zwei Beinen, also "Chaos Walking". Keine leichte Aufgabe für eine Inszenierung, also. Während dieser Lärm im Buch als Gekritzel quer über die Seiten dargestellt ist, haben sich die Filmemacher hier für visualisierte Audiowellen entschieden, die je nach Gemütslage in verschiedenen Farben um die Köpfe der Denkenden wabern und auch Bilder enthalten. Zusätzlich wird auch das ständige Gemurmel, dass die Figuren wahrnehmen eingespielt, was als Zuschauer erstmal befremdlich und überfordernd wirkt, aber sehr treffend wiedergibt, wie sehr diese Reizüberflutung und das ständige Entblößen des Inneren die Figuren strapaziert. 

Auch für die Bebilderung des recht unspektakulären, bäuerlichen Siedler-Lebens gepaart mit allerlei technischen Errungenschaften, sodass Schaffarmen, abgestürzte Raumschiffe und Wunderheilverbände oft innerhalb einer einzigen Seite vorkommen, gibt es von mir einen klaren Daumen nach oben! Viel zu kurz kam mir hingegen die Begegnung mit den außerirdischen Spackle, die hier nur in einer kurzen Szene vorkommen. Trotzdem wird klar, dass die wahre Bedrohung für die beiden Protagonisten hier nicht von einer fremden Spezies ausgeht, wie so oft in Science-Fiction-Filmen, sondern von einer entgleisten Dorfgemeinschaft, die angepeitscht von einem fanatischen Prediger, einem xenophoben Anführer und toxischer Männlichkeit gegen alles vorgehen, was anders ist - Und das plötzliche Auftauchen einer Frau, die noch dazu von einer weiteren geplanten Besiedlungswelle spricht, scheint für diese wie der Untergang der Welt...

Ein Aspekt, der dem Film sogar etwas besser gelingt als das Buch, ist die Handlung, die komprimiert auf die Länge von 109 Minuten deutlich knapper, stringenter und mit weniger Wiederholungen als das Buch daherkommt. Wo sich die Helden im Buch auf ihrer strapaziösen Flucht vor dem wütenden Mob aus "Prentisstown" in einem ständigen Kampf ums Überleben zwischen verschiedenen Siedlungen durch Wald und Sümpfe quälen, dabei leiden, bluten und schwitzen, nur um im nächsten Kapitel nochmal ein bisschen mehr leiden, bluten und schwitzen zu müssen, ist im Film die Leidensintensität viel geringer und die beiden haben von Beginn an ein klares Ziel vor Augen. Zwar werden viele Handlungsstränge nur kurz angerissen und nicht weiter fortgeführt, da das im Buch aber auch nicht anders gehandhabt wird und offene Fragen und sehr sparsames Worldbuilding zu Patrick Ness´ Markenzeichen gehören, finde ich das nicht weiter schlimm. Gerade gegen Ende hat sich das Drehbuch große Freiheiten eingeräumt, sodass der Abschluss der Handlung kaum etwas mit der Handlung des Buches gemein hat. Zwar ist, was sich die Filmemacher hier erdacht haben, deutlich runder und zufriedenstellender als im Buch, leider haben sie sich mit diesem Ende aber auch die Chance auf eine buchgetreue Fortsetzung verbaut. Da es aufgrund der eher schlechten Rezeption aber sowieso fraglich ist, ob es einen zweiten Teil geben wird, finde ich das nicht weiter schlimm.

Als viel schmerzlicher habe ich es empfunden, dass der Film durch die Verdichtung der Handlung die fantastischen Horrorelemente verliert, die im Buch für eine mulmige, düstere beinahe surreale Atmosphäre gesorgt haben. Grusel-Sümpfe, Halluzinationstrips durch eine Infektion, ein immer wiederkommender Antagonist, der nach jeder Verletzung entstellter ist, aber zombiemäßig immer wieder aufsteht, ein beinahe vermenschlichtes Messer, sprechende Tiere, die Begegnung mit einer Herde an "HIER!"-denkender Tiere - all das ist den Kürzungen beim Schreiben des Drehbuchs zum Opfer gefallen. Während die Wiederholungen des Leidens der Figuren einen eher geringen Mehrwert für die Geschichte hatten und ich die Verdichtung als positiv und spannungssteigernd empfunden habe, ist der Verlust der Horror-Elemente ein schwerwiegender Eingriff in die Stimmung der Erzählung. Nur die realer erscheinenden Motive wie ungezügelten Aggressionen, religiöser Wahn und männliches Dominanzverhalten haben es in den Film geschafft. Der Film ist also wesentlich weniger fremdartig und eigenwillig als das Buch - verliert dadurch aber auch die besondere Originalität der Vorlage und droht zu einer durchschnittlichen Dystopie mit Siedler-Setting zu werden. 

Schade ist auch, dass für Gefühle lange Überlegungen oder richtige Gespräche zwischen dem hohen Erzähltempo und der Reduktion auf basale Maßnahmen zum Überleben kaum Platz ist. Todd Hewitt, (verkörpert durch "Spiderman" Tom Holland) und Viola Eade (gespielt von Star-Wars-Star Daisy Ridley) nähern sich im Film nur zaghaft an und bleiben trotz guter schauspielerischer Leistung recht blass. Auch andere Figuren legen trotz eines bemerkenswerten Aufgebots von Hollywoods bekanntesten Scie-Fie-Schauspielern in zahlreichen Nebenrollen nur kurze Auftritte hin, sodass die Verfilmung die emotionale Tiefe des Buches weit verfehlt. Vor allem die Darstellung der beiden Antagonisten, also dem Bürgermeister Prentiss (Mads Mikkelsen) und dem manischem Priester Aaron (David Oyelowo) hat mich enttäuscht. Strahlen die beiden im Buch eine fast schon übernatürliche, diabolische Präsenz aus, fehlen den beiden im Film Motiv und Antrieb, um sie wirklich gefährlich wirken zu lassen.

Fazit

"Chaos Walking" ist alles in allem eine recht gelungene Buch-Adaption mit Stärken und Schwächen. Während das Setting und die Grundidee des "Lärms" wahnsinnig treffend umgesetzt wurden und die Handlung im Film durch die Verdichtung knapper, stringenter und mit weniger Wiederholungen als das Buch daherkommt, reicht der Film vor allem bei den Figuren und der Atmosphäre nicht an das Niveau der Vorlage heran.


Zum Trailer:



Bild-Quelle:Moviepilot.de

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