Allgemeines
Titel: Into Dark Waters
Autorin: Astrid Scholte
Verlag: Piper (29. Juli 2021)
Genre: Dystopie
ISBN-10:
3492705863
ISBN-13: 978-3492705868
ASIN: B092LR9FCC
Seitenzahl: 464 Seiten
Originaltitel: Vanishing Deep
Preis: 12,99€ (Kindle Edition)
16€ (Broschiert)
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Inhalt
Tempest lebt in einer Welt, die fast nur aus Wasser besteht. 500 Jahre zuvor
hat die Große Flut die Erde beinahe vollständig zerstört, doch die Ruinen der
versunkenen Städte bergen nach wie vor wertvolle Schätze. Als Taucherin
riskiert Tempest täglich alles, um ihre tote Schwester Elysea ins Leben
zurückzuholen. Für einen hohen Preis ist dies auf der Forschungsinsel
Palindromena für 24 Stunden möglich. Und nur Elysea kennt die Wahrheit über
den mysteriösen Tod ihrer Eltern. Doch Tempest hat keine Ahnung, in welche
Abgründe sie blicken wird ...
Bewertung
Nachdem Astrid Scholte mit ihrem Debüt "Four Dead Queens" einen temporeichen Genre-Mix gezaubert hat, der zu einer meiner liebsten
Überraschungen im Lesejahr 2020 geworden ist, war ich sehr gespannt auf ihren
neuen Einzelband "Into Dark Waters". Eine postapokalyptische Wasserwelt
mit schwimmenden Metallriffen, wenigen hart umkämpften Inseln und versunkenen
Städten? Ein Mädchen, das verzweifelt versucht, ihre Schwester ins Leben
zurückzuholen und dabei in die moralisch fragwürdigen Machenschaften einer
Forschungsinsel verwickelt wird? Das klang nach einer wahnsinnig starken
Geschichte mit viel Potential. Leider tauchen mit der Zeit immer mehr
Fragezeichen auf, die sowohl die Handlung, das Worldbuilding als auch die
Figuren betreffen und dafür sorgen, dass "Into Dark Waters" trotz
spannender Grundidee weit hinter "Four Dead Queens" zurückbleibt.
Doch bevor ich näher ausführe, was mich schlussendlich bei der Umsetzung der
Idee gestört hat, will ich noch ein paar Worte zur Gestaltung sagen. Genau wie
bei Astrid Scholtes Debüt hat der Piper Verlag mal wieder einen Volltreffer
gelandet, der das Cover der Originalausgabe um Welten aussticht. Statt eines
im Wasser treibenden Mädchens sieht man in dieser Ausgabe vor einem
zweigeteilten Hintergrund einen durch Wasserkleckse verwischten Titel in
Großaufnahme. Die obere Hälfte des Covers ist strahlend weiß, die untere
Hälfte ist schwarz wie das Meer bei Nacht - der Übergang wird durch Luftblasen
und aufspritzende Wassertropfen fließender gemacht. Durch die harten
Schwarz-Weiß-Kontraste und der Fokus auf das prägende Element der Geschichte -
Wasser - passt die Gestaltung wunderbar zur Geschichte und auch der Titel "Into Dark Waters" greift die Gefahr, die im Meer lauert, gelungen auf. Zwar ist auch der
Originaltitel "Vanishing Deep" sehr passend, "Into Dark Waters"
finde ich gerade in Verbindung mit der Covergestaltung des deutschen Verlags
aber sogar ein bisschen gelungener.
Erster Satz: "Ich wollte meine Schwester nicht wiedererwecken, weil ich sie
liebte."
Schon von den ersten Sätzen war ich eingenommen von der Geschichte, die so
voller brüllender Wut, leiser Hoffnung, Unbarmherzigkeit und Mysterium
startet. Wir lernen hier die junge Tempest kennen, die sowohl ihre Eltern als
auch ihre ältere Schwester Elysea an das Meer verloren hat und nun Tag und
Nacht nach Schätzen in den Ruinen der überfluteten alten Welt taucht, um
genügend Geld für eine Wiedererweckung ihrer Schwester auf der Forschungsinsel
Palindromena zu sammeln. Für 24 Stunden werden geliebte Menschen dort durch
ein neues Verfahren bei ausreichender Bezahlung ins Leben zurückgeholt, bevor
ihr Herz nach der abgelaufenen Zeit endgültig zu schlagen aufhört. Tempest
will ihre 24 Stunden mit ihrer Schwester jedoch nicht für rührselige letzte
Worte verschwenden - sie will herausfinden, was mit ihren Eltern und ihrer
Schwester passiert ist, um endlich eine Richtung für ihre Wut zu finden. Doch
als sie durch eine Verkettung von Zufällen mit ihrer Schwester und dem
Palindromena-Wächter Lor erschreckendes herausfindet, zählt jede Sekunde....
Lor: "Wir lernen nie aus unseren Fehlern, warum sollte man sich also mit der
Vergangenheit beschäftigen?"
Passend dazu ist jeder Kapitelanfang mit einer Datums- und Zeitangabe
versehen, die die restliche Zeit von Elyseas 24-Stunden-Wiedererweckung
herunterzählt. Dadurch und durch die Tatsache, dass die gesamte Handlung in
gerade mal etwas mehr als 48 Stunden spielt, sind die Spannung und das
Erzähltempo hoch. Dazu gesellen sich die spannende überflutete Wasserwelt, die
Geheimnisse um die High-Tech-Forschungsinsel Palindromena und die Rätsel über
die Vergangenheit der Protagonisten, die gerade das erste Drittel zu einem
extremen Page-Turner machen. Je mehr man dann jedoch im Verlauf der Geschichte
erfährt - über Lors Schicksal, über Tempests Eltern und die Nacht, in der ihre
Schwester starb... desto weniger Sinn ergeben die Handlungen der Figuren
(Spoiler:
Warum würde Lor die Position als Wächter annehmen, wenn er selbst von einem
geliehenen Herzschlag lebt? Unlogisch! Warum würden die Eltern die beiden
Mädchen zurücklassen, wenn sie doch offensichtlich bedroht werden?
Unlogisch. Warum erzählt Elysea ihrer Schwester nichts von der Nacht, in der
ihre Eltern verschwunden sind, wenn sich die beiden so eng sind?
UNLOGISCH!).
Tempest: "Sie erleuchteten den Weg zum Meeresboden. So wie die Lichter der Alten
Welt früher einmal Kopfsteinpflaster erhellt hatten. So wie die Sterne den
Nachthimmel erstrahlen ließen. Eine versunkene Konstellation (...) Eine
verlorene Stadt. Eine ertrunkene Gesellschaft. Ein perfekter Ort für die
Ernte."
Auch im Worldbuilding tauchen mit der Zeit immer mehr Ungereimtheiten auf.
Mir ist klar, dass "Into Dark Waters" in einer postapokalyptischen Welt
spielt und sich innerhalb von 500 Jahren einiges verändert haben kann. Einige
hier beschriebene Vorgänge stehen aber auffällig im Wiederspruch zu den
physikalischen oder biologischen Gesetzmäßigkeiten unserer Welt, was die
Glaubwürdigkeit der Handlung regelmäßig einschränkt. Beispielsweise hält das
Glas eines Unterwassergebäudes den Druck von 1500 Metern Wasser stand,
zerbricht aber wenn ein Stein von innen dagegen geworfen wird? Obwohl nur 500
Jahre sind, hat sich seit der großen Überflutung das maritime Leben komplett
verwandelt und es leben neben fluoreszierenden Korallen und Fischen auch
gefährliche Ungetüme in den Fluten (so viel Evolution gab es auf der Erde seit
dem Aussterben der Dinosaurier nicht und vor allem nicht in so kurzer Zeit)?
Eine populäre Todesursache dieser Welt ist eine Kristalllunge durch das
vermehrte Einatmen von Salzes (Unlogisch, wo doch auch heute viele Menschen an
oder auf dem Meer leben und keinerlei Probleme damit haben)? Boote gehen
unter, sobald eine Person zu viel an Bord ist (was angesichts der Größe derer
absolut keinen Sinn ergibt)? Leben kann durch Puls übertragen werden und
Herzen können zwischen nicht verwandten Personen transplantiert werden? Das
sind nur einige der Beispiele, in denen die Autorin zugunsten der spannenden
Handlung die Regeln der Welt bricht, in der die Geschichte spielt und das ist
gerade im Genre Science-Fiction ein ziemliches No-Go für mich. Lässt man seine
Geschichte in unserer Realität spielen, muss man sich auch an deren Regeln
halten, 500 Jahre in der Zukunft hin oder her...
Tempest: "Das war immerhin etwas, das es in dieser Welt im Überfluss gab. Tod.
Trotzdem genossen alle um uns herum das Leben. Sie hatten etwas aus dem
Skelett der Alten Welt erbaut. Etwas, das blühte und gedieh."
Ebenfalls seltsam fand ich, dass hier das blanke Überleben auf den an das
einfache Leben des 1900 Jahrhunderts erinnernden Riffen auf eine
High-Tech-Forschungsinsel trifft, auf der mit dem Tod experimentiert wird.
Beide Ideen sind spannende Konzepte, passen für mich aber nicht wirklich in
eine gemeinsame Welt, da man sich unweigerlich fragt, weshalb man die
Ressourcen Palindromenas nicht dazu einsetzt, die Versorgung der Menschen zu
verbessern. Passen High-Tech-Echolinks, fliegende Schnellboote und Werbespots
in eine Welt, in der noch nicht einmal die Riffe untereinander kommunizieren,
ein Teil des Meeres gesetzlos ist, es keine Regierung gibt, keine Produktion
und nach Überbleibseln aus der alten Welt getaucht wird? Dazu kommt, dass wir
ganz grundsätzlich nicht viel zum Setting und der Ausgangslage erfahren, da
die beiden erzählenden Figuren Tempest und Lor selbst sehr ahnungslos sind,
was sich hinter den Fluten noch alles versteckt. Hier handelt es sich beim
Setting also offensichtlich mehr um Beiwerk - sehr spannendes zwar aber
trotzdem nicht viel mehr als eine interessante Kulisse für die wirklich
wichtigen Geschehnisse. Etwas mehr Details hätten mich sehr gefreut, da das
Worldbuilding hier bestenfalls unfertig, schlechtestenfalls lückenhaft
wirkt.
Tempest: "Leben?" Ich schnaubte. "Ich habe nicht gelebt. Ich habe überlebt.
Von einem Tag zum nächsten. Bis ich dich wiedersehen würde. Das ist kein
Leben."
Spannende Themen wie Anspielungen auf den Klimawandel, Störungen von
Ökosystemen, Überfischung der Meere, Verantwortung gegenüber unserem
Planeten sowie die Ethik von Leben und Tod werden zwar kurz angerissen,
bekommen neben der temporeichen Handlung jedoch zu wenig Platz, um die
Geschichte wirklich zu bereichern. Im Vordergrund steht ganz klar das
spannende Abenteuer, dass Elysea, Lor und Tempest zusammen erleben. Genau
wie bei "
Four Dead Queens" hält sich Astrid Scholte nicht an die
Begrenzungen eines Genres, sondern bringt neben der dystopischen
Science-Fiction-Welt, einige Fantasy-Elemente wie der Kampf gegen den Tod,
die Götter der Tiefe, leuchtende Korallen, ein bisschen Krimi um das
Verschwinden ihrer Eltern, ein bisschen Piraten-Abenteuer mit der
Konfrontation auf der ungebundenen See, ein bisschen Weltuntergangs-Thriller
und eine leise Liebesgeschichte mit rein.
Lor: "Ich verstand den Wunsch, sich vor dem Schmerz des Lebens
verstecken zu wollen. Immerhin versteckte ich mich nun schon seit zwei
Jahren im Aquarium. Doch wir konnten uns nicht immer vor der Wahrheit
verstecken. Manchmal mussten wir das annahmen, was uns am meisten
wehtat. manchmal mussten wir das Richtige für andere Menschen tun,
auch auf unsere eigenen Kosten."
Ebenfalls unter dem schnellen Erzähltempo leiden die Figuren. Sowohl die
beiden sich abwechselnden Ich-Erzähler Lor und Tempest, als auch
Nebenfiguren wie Elysea, Raylan oder die beiden Hauptantagonistinnen bleiben
viel zu eindimensional. Auch wenn Astrid Scholte mit Schuld, Wut, kurzen
Gedankengängen über die Ethik von Leben und Tod versucht, ihre Figuren
tiefgründiger zu gestalten, blieben sie mir über die Geschichte hinweg zu
blass, als dass ich eine wirklich tiefgehende Beziehung zu ihnen aufbauen
hätte können. Tempest ist eine wütende Kämpferin, die nicht loslassen kann,
Elysea ist eine sanftmütige Tänzerin, die weiterleben will und Lor versteckt
sich vor lauter Selbsthass vor der Welt - damit hat man alle Charakterzüge
und Konflikte der drei Hauptfiguren zusammengefasst. Dass die Beziehung
zwischen den beiden Schwestern toll ausgearbeitet ist, die obligatorische
Liebesgeschichte nicht zu viel Raum einnimmt und Elysea asexuell ist sind
dann Pluspunkte, die den Gesamteindruck aber nur unwesentlich verbessern
können.
Tempest: "Würdest du nicht auch den Ozean überqueren, um die Wahrheit
herauszufinden? Die Wahrheit über den einen Moment, der erklärt, wer
du bist?"
Sowohl was die Handlung, das Worldbuilding als auch die Figuren angeht, hat
Astrid Scholte also weit das Potential verfehlt, dass ihre Geschichte hätte
entfalten können. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich beim Lesen keinen Spaß
hatte. Durch Astrid Scholtes gradlinigen Schreibstil wird eine packende
Grundatmosphäre und eine unterschwellige Spannung trotz teilweise dürftigen
Hintergründen aufrechterhalten. Sie nutzt anders als ich es von anderen
Science-Fiction-Autoren gewohnt bin, nicht viele Schnörkel oder Details, um
ihre Geschichte bunt auszuschmücken, sondern erwähnt nur das Wichtigste, um
uns auf falsche Fährten zu führen, die Protagonisten näherzubringen und uns
immer wieder zu fesseln. Passend dazu, dass die Autorin aus der Filmbranche
kommt und an der Entstehung von unter anderem "Avatar" und "Happy Feet"
mitgewirkt hat, konnte ich mir die Geschichte durch ihren Stil total gut als
Film vorstellen. Ein solider Fokus auf die Handlung, ein hohes Erzähltempo,
zwei grundsätzlich spannende Protagonisten mit der richtigen Balance aus
sympathischer Oberflächlichkeit und Tiefe, die Erwähnung von nur den
nötigsten Informationen aber trotzdem ein ansprechendes Setting - die
Geschichte hat alles, um einen spannenden Blockbuster daraus zu machen. Als
Roman hingegen konnte mich die Geschichte lang nicht so gut erreichen wie
"
Four Dead Queens". Auch das unkonventionelle, aber stark überhetzte Ende, in welchem der
zentrale Konflikt sehr schnell abgeschlossen wird und vieles offen bleibt,
bestätigt diesen Eindruck nochmals. Schade!
Lor: "Ich durfte nicht daran denken, wie schön sie war. Wie weh es getan
hatte, sie weinen zu sehen. Wie ihr Bild mehr und mehr meinen Kopf
ausfüllte. Das würde mir nicht helfen (...) Zum ersten Mal in meinem Leben
schickte ich ein geflüstertes Gebet an die Götter der Tiefe, obwohl ich
nicht wusste, ob e es sie überhaupt gab, ob sie mich hörten oder ob es sie
kümmerte, was mit mir geschah. Allerdings betete doch jeder so, nicht
wahr? Im Vertrauen darauf, dass man nicht allein war, obwohl es dafür
keinen Beweis gab."
Fazit
Astrid Scholte erzählt hier eine temporeiche Geschichte voller
origineller Ideen. Leider offenbart "Into Dark Waters" nach einem
starken Einstieg jedoch immer mehr Ungereimtheiten, sodass wohl
Handlung, Worldbuilding als auch die Figuren ihr Potential nicht
vollständig entfalten können.
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Vielen Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar, was meine
ehrliche Meinung jedoch nicht beeinflusst hat.
Quelle Informationen: Amazon.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des
Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.
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