Sonntag, 7. September 2025

Mama, bitte lern Deutsch


Allgemeines

Titel:  Mama, bitte lern Deutsch
Autor: Tahsim Durgun
Verlag: Knaur (03. März 2025) 
Genre: Autobiografisches Sachbuch
Seitenzahl: 209 Seiten
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Inhalt

Noch bevor Tahsim Durgun Fahrradfahren konnte, musste er für seine Mutter die Stromrechnung entziffern, begleitete sie als Dolmetscher zu Arztbesuchen und verlas Aldi-Kataloge am Küchentisch. Seine spätere Karriere als Deutschlehrer war da bereits vorgezeichnet. Wie praktisch, dass er sich seitdem an der Uni zwischen dem BWL-Justus und der Iced-Coffee-Claudia gut getarnt vor den Abschiebefantasien der AfD verstecken kann. Ein Privileg, das seiner kurdischen Mutter, an deren Küchentisch Tahsim jeden Abend zurückkehrt, verwehrt bleibt. Als Vermittler zweier Welten und vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte in einer kurdisch-deutschen Familie verhandelt Tahsim, wie wir alle miteinander leben wollen — mit und ohne Migrationsgeschichte.


Meine Eindrücke

In "Mama, bitte lern Deutsch" erzählt der als Comedian bekannte Tahsim Durgun die Geschichte seiner Kindheit und Jugend in einer kurdisch-deutschen Familie. Es ist keine spannende oder aufsehenerregende Geschichte, jedoch ein authentischer Bericht über ein Leben zwischen zwei Welten, die Erwartungen seiner Eltern und die ständige Konfrontation mit einer Gesellschaft, die ihn immer wieder spüren lässt, dass er nicht selbstverständlich dazugehört.

"Unsere Geschichte ist keine besondere, aber eine unerzählte, und das will ich ändern.“

Seine autobiografische Erzählung ist in sieben Kapitel gegliedert, deren Überschriften jeweils einen sprachlichen Bezug haben und die mit einer kurzen Definition des jeweiligen sprachlichen Konzepts enden. Im Kapitel selbst wird ein Bezug zu diesem sprachlichen Konzept hergestellt und gleichzeitig eine Erfahrung aus seinem Leben geschildert – ein kluger und wirkungsvoller Aufbau, der Sprache als roten Faden durch das Buch zieht. Auf diese Weise begleiten wir Tahsim in relativ kurzer, nicht streng chronologischer Form von den 90er-Jahren bis in die Gegenwart. Auf 200 Seiten entsteht ein eindringliches Bild davon, wie sich Ablehnung und Rassismus in Deutschland zeigen können: mal laut und aggressiv in offener Ablehnung und bösen Worten, mal subtil und versteckt hinter einem höflichen Lächeln, in Konfrontationen auf der Ausländerbehörde, unnötiger Bürokratien, in Sprachbarrieren und Armut, in schlechteren Möglichkeiten im Bildungs- und Gesundheitssystem und durch ein kulturelles Nicht-Dazu-Gehören. Ein ständiges Ihr gegen Wir. 

"Sie verließen ein Land, das sie nicht verlassen wollten, um in ein Land zu ziehen, das sie nicht wollte..“

Auf der einen Seite ist das Buch also eine Abrechnung mit der Asylpolitik der vergangenen Jahre und ein Aufzeigen der gesellschaftlichen blinden Flecken zum Thema Migration. Neben der politischen Seite des Buches, ist es jedoch vor allem eine zutiefst persönliche Aufarbeitung seiner Beziehung zu seiner Mutter, die zwischen Liebe und Frustration, Respekt und Enttäuschung, Verantwortung und Druck schwankt. Anfangs war ich etwas irritiert, wie lapidar und manchmal auch hart der Autor über seine Familie schreibt und urteilt (ein grünes Kleid beschreibt er wie Einhornkotze, das Gesicht seiner weinenden Schwester vergleicht er mit einem benutzten Kondom). Doch mit jedem Kapitel wird deutlicher, wie viel Liebe und Respekt er für sie empfindet. Er schreibt mit entwaffnender Ehrlichkeit über die Gratwanderung zwischen Zuneigung und Frustration, über die Bewunderung für seine Mutter, die Stärke und unerschütterliche Resilienz zeigt – und gleichzeitig über seine eigene Erschöpfung, wenn er vor seiner Aufgabe als Übersetzer und Navigator in dem für seine Mutter fremden Land verzweifelt und vor allem ein Kind sein möchte. 

"Meine Mutter, die Poetin der Gerüstlandschaft, die mir die Welt mit Metaphern, Vergleichen und Symbolen erklärte, hatte sich im Supermarkt nicht wehren können. Und obwohl sie die Worte nicht verstanden hatte, war die Botschaft, war der Schmerz bei ihr angekommen. Manchmal, so denke ich heute, ist es egal, welche Sprache der Empfänger spricht, denn Schmerz folgt keiner Grammatik, Schmerz sprechen wir alle.“

Das Buch ist persönlich, verletzlich und doch unaufgeregt und ohne Groll erzählt. Trotz der Schwere des Themas liest es sich erstaunlich leicht, was auch vor allem an Durguns Humor liegt, der bitter und mal schmerzhaft sein kann, aber immer eine befreiende Kraft hat. Oft bringt er einem zum Lachen, nur damit man im nächsten Moment mit einem Kloß im Hals innehält, weil die Tragik der Situation unausweichlich durchbricht. Diese Mischung aus Verletzlichkeit, Witz und Klarheit macht die Lektüre zu einem intensiven Wechselbad der Gefühle, das mich das Buch in einem Tag hat durchlesen lassen.

"Was ist Träumen? Da muss man bestimmt vorher tausend Formulare ausfüllen, damit man das machen kann - ist hier immer so." Mama, bitte - was wünschst du dir?", fragte ich nachdrücklicher. "Dass ihr glücklich seid. Meine Blumen." Es erwischte mich wieder, aber ich mochte ihre Selbstlosigkeit dieses Mal nicht annehmen. "Für dich selbst, Mama!!" Sie setze sich mit ihrem Cay wieder auf ihren Platzgegenüber von mir. Dann nahm sie einen kräftigen Schluck. "Ich traue mich nicht zu träumen. Ich wurde nicht dafür gemacht."

Fazit

"Mama, bitte lern Deutsch" ist ein starkes, ehrliches und zutiefst berührendes Buch. Es erzählt nicht nur von individueller Erfahrung, sondern wirft ein Schlaglicht auf Themen wie Zugehörigkeit, Rassismus und Ungleichheit und ist damit ein Aufruf zum Hinsehen, Verstehen und Mitfühlen. Ein kleines, schnell gelesenes, aber lange nachwirkendes Buch!


*keine WERBUNG,  selbstgekauft*

Quelle Informationen: Goodreads.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.

2 Kommentare:

  1. Hallo Sophia,

    hm, kleine zwischen Frage....wo bleibt der Papa in dieser Geschichte?
    Er müsste doch seiner Frau in einem, fremden Land/Kultur hilfreich zur Seite stehen zumindest etwas oder?
    Mich macht es immer traurig, wenn man die Sprache/Kultur/Sitten des neuen Landes nicht kann/kennt und so vielleicht Erwartungen aufgebaut werden....die keine der beiden Seiten erfüllen kann......

    LG..Karin..

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    1. Hey Karin,

      der Vater ist in der Geschichte auch präsent, aber nicht so sehr im Fokus wie die Mutter. In dem Buch geht es ausdrücklich um die Mutter, deshalb ist es mir gar nicht aufgefallen, dass er so wenig erwähnt wurde...

      Liebe Grüße
      Sophia

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