Allgemeines
Titel: Eine Bonnie kommt niemals allein
Autorin: Bonnie Leben
Verlag: Heyne (24. Mai 2024)
Genre: Autobiografisches Sachbuch
ISBN: 9783641319076
Seitenzahl: 257 Seiten
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Inhalt
Bewertung
Die Diagnose der dissoziativen Identitätsstörung (DIS) war für mich als Psychologin nicht völlig neu. Im Rahmen des Studiums kamen dieses Störungsbild und vor allem die dabei verbundenen Lebenswelten allerdings sehr kurz - was sich ganz gut mit der leider sehr dünnen Repräsentation in der Gesellschaft, der Öffentlichkeit und Unterhaltungsmedien deckt. Wer schon einmal etwas von der DIS gehört hat, dann vermutlich höchstens weil ein Bösewicht in einem Thriller oder Horrorfilm sich in einem großen Plottwist als multipel herausgestellt hat. Was das genau bedeutet, woher das kommt und wie sich das für Betroffene äußert, lernen wir in diesen Filmen oder Büchern natürlich nicht. Umso wichtiger ist es, dass es Personen wie die Bonnies gibt, die Aufklärungsarbeit über diese Diagnose betreiben. Ich folge den Bonnies schon längere Zeit auf Social Media und habe bereits sehr viel von ihnen gelernt. Als sie ihr neues Buch - "Eine Bonnie kommt niemals allein" - angekündigt haben, war ich dementsprechend gespannt und habe mir ein Exemplar im Bloggerportal angefragt. Es folgt nun meine Rezension, welche aber eher weniger eine konkrete Bewertung des Buches, sondern eher eine Beschreibung meiner subjektiven Erfahrungen damit, sein soll.
Zuerst für eine bessere Einordnung die kurze Information, worum es sich bei einer DIS eigentlich handelt: Früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt bezeichnet die DIS eine Person, die aufgrund von frühen traumatischen Erfahrungen in der Kindheit eigentlich aus vielen getrennten Persönlichkeiten besteht. Diese Identitäten können unterschiedlich stark ausgeprägt und voneinander abgetrennt sein und sind als Schutzmechanismus der kindlichen Psyche entstanden, um die Last des Traumas auf mehrere Personen zu verteilen. Das erste und wichtigste Learning dieses Buches würde ich also in diesem Zitat zusammenfassen:
Neben der Tatsache, dass eine Person mit einer DIS nicht gefährlich ist (zumindest nicht für andere Personen als sie selbst), hält "Eine Bonnie kommt niemals allein" eine Menge anderer wichtiger Erkenntnisse über die Diagnose, das Leben damit, die blinden Flecken in unserer Gesellschaft und Hinweise zum Umgang damit bereit. Auf knapp 250 Seiten bietet das Buch einen hochspannenden Einblick in die Lebenswelt der Bonnies, der berührt, sensibilisiert und informiert, manchmal aber auch an die Grenzen des Vorstellbaren bringt. Sowohl was den Schmerz, die Gewalt und das Trauma angeht, das die Bonnies durchstehen mussten, wird man beim Lesen ganz schön herausgefordert (wobei sie in ihren Schilderungen zum Selbstschutz vage bleiben und gute Triggerwarnungen vorangestellt sind). Als auch kommt man an die Grenzen des eigenen Einfühlungsvermögens, da man sich als Individuum, das nie eine andere Daseinsform kennengelernt hat, eine Abstraktion wie die Innenwelt nur schwer vorstellen kann. Dementsprechend intensiv und anstrengend war für mich das Lesen, dementsprechend viele verschiedene Emotionen wurden währenddessen geweckt.
Inhaltlich ist das autobiografische Sachbuch in grobe inhaltliche Kapitel eingeteilt, in denen abwechselnd verschiedene Innenpersonen zu Wort kommen. Insgesamt geht es um die Findung der Diagnose, den groben Aufbau des DIS-Systems, das zugrundeliegende Trauma, wie die Bonnies den Alltag und Beziehungen gestalten, ihr Verhältnis zu ihrem geteilten Körper, Therapie und Unterstützung von außen und allgemein wie es ist, viele zu sein. Dabei sind viele Erkenntnissen über das Leben an sich sowie wichtige Botschaften über Hoffnung, Unterstützung, Freundschaft und Therapie enthalten, die mich sehr berührt haben und ich war auch immer wieder von dem extrem hohen Reflexionsniveau beeindruckt, das den Weg deutlich macht, den die Bonnies und auch einzelne Innenpersonen bereits hinter sich haben.
Die unterschiedlichen Perspektiven der Innenpersonen sind mit dem jeweiligen Namen der Person, einem Absatz und einem passenden Symbol gekennzeichnet, sodass sofort nachvollzogen werden kann, wer gerade schreibt. Da in diesem Buch insgesamt 20 verschiedene Innenpersonen zu Wort kommen und ihre Erlebnisse schildern, kommt es im Laufe des Buches zu einigen Wiederholungen, Widersprüchen und Überschneidungen. Dabei kann man häufig auch im Schreibstil, den Formulierungen und Erzählton die einzelnen Personen gut heraushören und unterscheiden, sodass sich das Buch ein wenig wie ein zusammengewürfeltes Gruppenprojekt liest, das in den einzelnen Perspektiven Sinn ergibt, aber erst in seiner Gesamtheit zusammenwirkt - ein gutes Sinnbild für die Diagnose selbst.
An einigen Stellen habe ich mich dabei ertappt, mir etwas mehr Hintergrundinfos, sachlichen Input vonseiten der Wissenschaft oder eine zusätzliche Perspektive von Außenstehenden Personen zu wünschen, um die Schilderungen besser greifen zu können. Da hier aber nun mal die Bonnies, ihre persönliche Geschichte und ihr individuelles Erleben im Vordergrund stehen, wäre das allerdings fehl am Platz gewesen. Wer sich noch weiter informieren will, kann das natürlich mit Sachbüchern zu dem Thema tun.
Zuletzt möchte ich noch festhalten, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie schwer es war, mit so vielen einzelnen Perspektiven ein zusammenhängendes Buch zu schreiben. Auch allgemein bin ich sehr beeindruckt, wie viel Mut, Selbstreflexion und Kraft die Bonnies aufgewendet haben müssen, um laut zu sein, ihre Geschichte zu erzählen und dadurch auf die DIS aufmerksam zu machen. Danke Euch und allen, die dieses Buch lesen!
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