Die Fakten
Titel: Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen
Autorin: Kathinka Engel
Verlag:
Lübbe (26. April 2024)
Genre: Roman
Seitenzahl: 433 Seiten
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Der Inhalt
Die Eindrücke
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil. Kein Wunder also, dass es mir mit diesem Buch so ging wie Kathinka Engels Protagonistin mit dem Haus in der 19 Tolpuddle Street "Zackbumm, Herz dran gehängt". Was das Buch allerdings davon abgehalten hat, für mich zu einem richtigen Highlight zu werden, ist das eher mittelmäßige Pacing der Geschichte. Die Autorin erzählt hier abwechselnd zwei eigenständige Handlungsstränge auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die sich erst auf den letzten Seiten des Romans verbinden. Dafür nutzt sie die Perspektive der jungen Pippa im Jahr 1974 und die von Online-Redakteurin Gilly in der Gegenwart. Dadurch dass zwei Geschichten parallel erzählt werden, braucht der Roman erstmal 150-200 Seiten, um in die Gänge zu kommen, während das Ende mit der Verbindung der Handlungsstränge sehr plötzlich kommt und sich die Ereignisse beinahe überschlagen. Ein wenig mehr Drive zu Beginn und etwas mehr Ruhe im Ende hätte der Erzählung also aus meiner Sicht sehr gut getan. Die Art und Weise, wie die Autorin ihre Geschichte auflöst, ist allerdings sehr gelungen - zwar nicht vollkommen unvorhersehbar, aber rund und emotional mit stimmigen Zwischentönen erzählt.
Schreibstil: Wer schon einmal in einem Altbau gewohnt hat, kennt vermutlich die Spuren, die vorherige Bewohner dort hinterlassen haben und die gelegentliche Frage, welche Geschichten die Gemäuer erzählen würden, wenn sie sprechen können. Um genau diese Frage dreht sich diese ruhige, einfühlsame, lebendige Erzählung über Heimat, den Zusammenhalt einer Hausgemeinschaft, Verlieren, Finden und Gefunden werden. Dabei entführt die Autorin mit ihrer 19 Tolpuddle Street nach Camden mitten in London und erweckt dieses Viertel auf beiden Zeitsträngen auf magische Weise mit allen politischen und historische Feinheiten zum Leben. Während wir in der Vergangenheit die prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, die Beginne der Punk-Szene und Hausbesetzungen beobachten, ist der Camden Market in der Gegenwart zu einem Touristenmagneten geworden und der alte Charme muss immer mehr der Gentrifizierung weichen. Dennoch liest sich das Buch von Anfang bis Ende wie eine Liebeserklärung an die Stadt London. Gemeinsam mit Gilly gehen wir für ihr Online-Magazin auf eine Suche nach "Hidden Places" in der Stadt und bekommen dabei (trotz der bösen Mietpreise) sofort Lust, hinzufahren und selbst auf Entdeckungsreise zu gehen!
Figuren: Durch den eher gemächlichen Beginn kann sich die Geschichte viel Zeit nehmen, die beiden Hauptfiguren und deren Lebenssituation ausführlich vorzustellen. So bekommen wir ein gutes Gefühl für die jeweiligen Konflikte und können die Entwicklungen der Figuren gespannt mitverfolgen. Im 1974-Handlungsstrang beobachten wir, wie die Tochter aus gutem Hause aus Langweile in die Punkszene gerät und sich in den Sänger Oz verliebt. Dabei steht vor allem Pippas Ausbruch aus ihrem behüteten Leben, das Hinterfragen ihrer politischen Ansichten und ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau im Vordergrund. Während sie es einem gerade zu Beginn sehr schwer macht, sie nicht für ihre Naivität und internalisierte Misogynie schütteln zu wollen, macht sie dabei einen beachtlichen Wandel durch und wächst einem sehr ans Herz.
Dagegen hatte ich zu Gilly von Beginn an einen deutlich besseren Zugang. Sie ist zu Beginn der Handlung an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie nicht genau weiß, wie es bei ihr weitergehen soll - nur dass sich etwas ändern muss. Nach einer gescheiterten Langzeitbeziehung ist sie wieder Single, wohnt alleine und muss sich zum ersten Mal fragen, was eigentlich sie möchte. Ihr Handlungsstrang dreht sich also ganz um Orientierungslosigkeit im Leben, den Druck, den sie als Dreißigjährige von außen spürt und wie sie (mithilfe einer Armada von Basilikum) zu sich selbst findet. Dabei lässt sie ganz schön viele kleine Weisheiten vom Stapel, die auch bei mir ein bisschen etwas bewegt haben...
Da beide Hauptfiguren sehr viel Raum einnehmen, bleibt nur wenig Platz für Nebenfiguren. Zwar haben beide Frauen eine Liebesgeschichte, die schön erzählt sind, sich aber recht schnell entwickeln und eher Randnotizen bleiben. Auch andere Akteure wie beispielsweise die Nachbarin Miss Dewbre hätten noch ein bisschen ausgebaut werden können. Doch das hätte das Pacing vermutlich noch mehr aus der Balance gebracht, also bleibe ich bei meinem Urteil: bis auf Unstimmigkeiten im Erzähltempo erzählt Kathinka Engel hier einen lebendigen, kraftvollen Roman!
Die Zitate
"Aber du hast doch..." Doch Owen lässt mich nicht ausreden. "Es kommt ganz darauf an, wer die Alternative zum Alleinsein ist." Er lächelt mich an, und mein hüpfendes Herz möchte sich wirklich, wirklich an Owen hängen."
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