Sonntag, 27. Juli 2025

Serienempfehlung: We Were Liars

Nachdem mich das Buch "We Were Liars" von E. Lockhart leider überhaupt nicht überzeugen konnte, war ich mir lange unsicher, ob ich in die gleichnamige Serienadaption reinschauen sollte. Als sie mir dann aber von mehreren Seiten als sehr sehenswert angepriesen wurde, war ich dann doch neugierig, wie Prime Video den Erzählstoff (und vor allem den Twist am Ende) in einem Serienformat umsetzen würden. 8 Folgen später bin ich nun total geflasht, was für eine atmosphärische und vielschichtige Thriller-Serie aus dem mittelmäßigen Buch herausgeholt wurde!!! 


Darum geht´s:


Als erstgeborene Enkeltochter des Zeitungsmoguls Harris Sinclair (David Morse) gehört Cadence Sinclair (Emily Alyn Lind) zu einer der reichsten und mächtigsten Familie Amerikas. Jedes Jahr verbringt sie zusammen mit ihren Tanten Carrie (Mamie Gummer), Bess (Candice King), ihrer Mutter Penny (Caitlin Fitzgerald), ihren Cousinen Mirren (Esther McGregor) und Johnny (Joseph Zada) und dem Freund der Familie Gat (Shubham Maheshwari) ihren Sommer auf der Insel Beechwood vor der Küste Massachusetts. Für sie ist es der Inbegriff von Ferien, Familienurlaub und purem Sommergefühl. Doch der Sommer ´16 scheint alles verändert zu haben und endet mit einem traumatischen Unfall. Ein Jahr später kehrt Cady auf die Insel zurück, leidet allerdings unter Gedächtnisverlust, Migräne und Panikattacken. Was ist vor einem Jahr auf der Insel passiert? Weshalb sprechen die anderen "Liars" nicht mehr mit ihr? Was verbirgt sich hinter der strahlenden Fassade der Sinclairs? Je näher Cady der Wahrheit kommt, desto mehr ist sie sich sicher, dass sie alles verändern wird...


Das denke ich zur Serie:


Was die Serie von Anfang an so stark macht, ist ihr Gespür für Atmosphäre. Durch geschickte Zeitsprünge zwischen dem „Sommer ´16“ und dem „Sommer ´17“ entfaltet sich eine dichte, zunehmend bedrückende Stimmung. Anfangs fühlt sich Beechwood noch wie ein Ort unbeschwerter Sommertage an mit goldenem Licht, lachenden Teenager, glitzerndem Wasser und ausgelassenen Kindheitserinnerungen. Doch mit jeder aufkommenden Erinnerung, schleichen sich langsam Schatten in diese heile Welt, die nostalgisch-verklärte Sommeridylle beginnt zu bröckeln, das Glänzende wird stumpf, die Harmonie zerfällt und was darunter zum Vorschein kommt, ist nicht weniger als ein emotionales Minenfeld aus Familiengeheimnissen, verdrängter Schuld und verlorener Unschuld. Dabei wird mit Vorgriffen geschickt Spannung aufgebaut. Auch wenn zeitweise mehr die zwischenmenschlichen Konflikte und das Teenie-Drama im Vordergrund steht, wird mit kleinen Ungereimtheiten, einer raffinierten Bildsprache und düsterem Foreshadowing die Neugier wachgehalten. Man weiß: Hier stimmt etwas nicht – aber was?

Der Kontrast zwischen der goldglänzenden Welt der Superreichen und der wachsenden inneren Zerrissenheit der Protagonistin wird filmisch exzellent eingefangen. Das Setting im sommerlichen Beechwood direkt neben der Insel Martha´s Vineyard wirkt dekadent, aufgeräumt und harmlos, allerdings tun sich unter dem Deckmantel von Harmonie und Luxus emotionale Abgründe auf, die bis zum Schluss fesseln. Zum Glück wurde dabei die "lila Prosa“, die im Roman oft ins Überinszenierte abdriftet, in der Serie nicht übernommen. Zwar gibt es auch hier überinszenierte Momente – vor allem im emotional aufgeladenen letzten Drittel – doch sie fügen sich organisch in den Stil der Serie ein, die die Grenze zwischen Kitsch, Melodrama und gelungenem Spannungsaufbau gerade so schneidet. Den Einzug in die Serie geschafft haben allerdings die Märchen-Visionen aus dem "mythical land, where it was always summer", die mir auch im Buch schon gut gefallen haben. Die Voice-Over-Elemente verdeutlichen auf symbolischer Ebene, wie Cadence die richtige Geschichte aus ihren Erinnerungen zusammenzusetzen versucht und geben der Erzählung eine interessante zusätzliche Ebene. 

Apropos interessante zusätzliche Ebene! Die Figuren sind allesamt deutlich vielschichtiger und interessanter als im Buch! Einer der größten Kritikpunkte am Buch war für mich die Oberflächlichkeit der Figuren – gerade bei einem Titel wie "We Were Liars" hätte ich mir ambivalente Charaktere und komplexere Dynamiken gewünscht. Die Serie liefert hier deutlich ab. Cadence wirkt als Protagonistin nicht mehr nur wie ein weinerliches „armes reiches Mädchen“, sondern erhält glaubwürdige Tiefe, ihre inneren Konflikte sind nachvollziehbar und schaffen es immer wieder abzuholen. Auch ihre Cousins Mirren und Johnny sowie Gat, werden in der Serie überzeugender ausgestaltet und schaffen es, unsere Sympathie zu erringen, auch wenn man sich über ihr Verhalten immer wieder ärgern muss. Besonders die erwachsenen Nebenfiguren profitieren hier enorm. Egal ob der Patriarch Harris oder die drei Sinclair Schwestern Carrie, Bess und Penny - alle bekommen mehr Raum für ihre eigenen Geschichten, Kämpfe und Persönlichkeiten, die Konflikte sind greifbarer und logischer aufgebaut als das im Buch der Fall war. So ist die Familiendynamik hier nicht bloß Kulisse, sondern ein emotional aufgeladenes Netz, das deutlich zur Spannung beiträgt. Auch wenn die Besetzung für die "Liars" teilweise etwas zu reif für 16jährige aussieht, bin ich rundum zufrieden mit dem Casting und finde alle Rollen sehr überzeugend. 

Auch die gesellschaftlichen Themen, die im Buch eher vage angedeutet wurden – Privilegien, White Tears, struktureller Rassismus – finden in der Serie endlich Gehör, wenn auch eher im Subtext als im Vordergrund. Gerade Gats Rolle als nicht-weißer Junge inmitten einer reichen, weißen Elite wird deutlich differenzierter beleuchtet. Dennoch bleibt auch hier Potenzial offen, insbesondere, da die Serie sich gegen Ende etwas zieht und eine Folge weniger vielleicht sogar mehr gewesen wäre. Der gewonnene Raum hätte gut genutzt werden können, um genau diese Themen weiter zu vertiefen. Stattdessen werden wir im letzten Drittel mit noch mehr Beziehungsdrama abgespeist, bevor sich der Plot zum Höhepunkt verdichtet. Toll untermalt wird dies durch den Soundtrack. Mit melancholischen, zugleich kraftvollen Tracks von Künstlern wie Hozier und Birdy unterstreicht er die emotionale Bandbreite der Serie und begleitet die Handlung mal zart, mal dramatisch, mal kämpferisch. Auch die visuelle Umsetzung überzeugt: Das Spiel mit Licht, Schatten und Farbe ist subtil, aber wirkungsvoll. Die wechselnden Bildstimmungen – von hellem Sommerlicht zu stürmischen Nächten spiegeln hervorragend Cadys innere Entwicklung sowie die bedrohlich näherrückende Wahrheit am Ende des Sommers... 

Das Ende – und hier will ich nicht zu viel spoilern – dürfte wohl die allermeisten ziemlich überraschen. Denn der Twist ist deutlich cleverer umgesetzt als in der Buchvorlage, in der ich bereits nach wenigen Kapitel eine Ahnung hatte, worauf das Ganze hinauslaufen würde. Hätte ich die Auflösung durch das Buch nicht bereits erkannt, hätte ich hier wohl erst in der letzten Folge erraten, worauf die Geschichte zusteuert. Die zwei Regisseure haben mehrere falsche Fährten eingebaut, spielen mit Erwartungen, streuen Hinweise, ohne zu viel zu verraten und lassen die Auflösung in einem bittersüßen Finale kulminieren, das emotional tieftrifft. Der Schluss ist zwar etwas opulenter inszeniert als nötig, funktioniert aber trotzdem sehr gut als Höhepunkt der acht Folgen und wird wohl auch die ein oder andere Träne fließen lassen...

Ob nach den acht Folgen nun Schluss ist, ist noch nicht klar. Da die Serie einige neue Elemente und Anknüpfungspunkte eingeführt hat, die es im Hauptbuch nicht gibt, sich aber auf die Prequels und Sequels von E. Lockhart beziehen, wäre eine Fortsetzung durchaus denkbar. So taucht etwa ein rätselhaftes Detail über eine verstorbene Sinclair-Schwester auf, an dessen Tod Cassie, Bess und Penny Anteil gehabt haben könnten und auch ein kurzer Teaser nach dem Finale deutet an, dass die Geschichte noch nicht ganz zu Ende erzählt ist. Da die Serie die Buchvorlage in meinen Augen weit überflügelt hat, würde mich das sehr freuen. Wenn die Qualität gehalten wird, bin ich definitiv dabei!

Mein Urteil:

"We Were Liars" ist eine dieser seltenen Ausnahmen, bei denen die Serienadaption das Buch nicht nur ergänzt, sondern deutlich übertrifft. Während der Roman für mich eine eher enttäuschende Coming-of-Age-Geschichte mit zu viel Pathos und zu wenig Tiefe war, ist die Serie ein atmosphärisch dichtes, emotional berührendes und stilistisch starkes Psychodrama!


Zum Trailer:





Bild-Quellen: Moviepilot.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich, wenn Du einen Kommentar dalässt.
Egal ob Kritik, Verbesserungsvorschläge, Lob, Anmerkungen, Fragen oder eigene Meinung - das ist der richtige Ort dafür ;-)