Allgemeines:
Titel: Der Schwarm
Autor: Frank Schätzing
Genre: Thriller
Verlag: Fischer (1. November 2005)
ISBN-10: 3596164532
ISBN-13: 978-3596164530
ASIN: B004WNZ1WS
Seitenzahl: 987 Seiten
Preis: 9,49€ (Kindle-Edition)
11,99€ Taschenbuch)
26€ (Gebundenes Buch)
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Inhalt:
Vor Peru verschwindet ein Fischer. Spurlos. Norwegische Ölbohrexperten stoßen auf merkwürdige Organismen, die Hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz genommen haben. Währenddessen geht mit den Walen entlang der Küste British Columbias eine unheimliche Veränderung vor. Nichts von alledem scheint miteinander in Zusammenhang zu stehen. Doch Sigur Johanson, Biologe und Schöngeist, glaubt nicht an Zufälle. Auch der indianische Walforscher Leon Anawak gelangt zu beunruhigenden Schlüssen: Eine Katastrophe kündigt sich an. Die Suche nach dem Urheber konfrontiert die Forscher mit ihren schlimmsten Albträumen...
Bewertung:
"Die Zeit verstreicht nicht, sie läuft ab.
Der Beginn von etwas.
Ein Plan. Alles ist gesteuert..."
Ein "yrrsinniges Weltuntergangsszenario" (wer das Buch gelesen hat wird meinen Wortwitz verstehen) vollgestopft mit Hintergrundwissen auf fast 1000 Seiten? Das ist selbst für mich als schnelle und konsequente Leserin eine Herausforderung, weshalb ich die Geschichte viel zu lange verschmäht habe. Im letzten Urlaub habe ich mich nun endlich herangewagt und bin in den Genuss einer Geschichte gekommen, die zwar auch einige Schwächen hatte, die ich aber sicher nie wieder vergessen werde! Eine hochspannende, gruselige Geschichte, in der Wissenschaft und Fiktion nahtlos ineinander übergehen und die zum Nachdenken anregt.
Das Cover ist mit dem schwarzen Hintergrund sehr schlicht gehalten und an die undurchdringliche Dunkelheit der Tiefsee angelehnt. Daraus sticht stark die blau leuchtende Formation hervor, die stark an ein Auge erinnert, wohl aber auf die blau fluoreszierende Wolke anspielt, welche die Wissenschaftler der Geschichte in Verwunderung versetzt. Der Titel, "Der Schwarm" erscheint schon fast banal angesichts des hochkomplexen Handlungsgefüges des Romans und scheint für mich nicht zu 100% treffend. Da mir aber kein anderer Titel einfällt, der besser passen würde, will ich nicht motzen. "Die Gallerte" klingt zu schleimig, "Das Kollektiv" zu hochgestochen und bei der "Yrrsinn" würde die Weltpresse einen Rechtschreibfehler vermuten ;-) Zu bemängeln habe ich nur, das die Schriftgröße sehr klein und die Seiten sehr dünn sind - was zwar zur Folge hat, dass das Buch nicht noch mehr Seiten erhält, die Handlichkeit des Taschenbuches aber nicht gerade steigert.
Erster Satz: "An jenem Mittwoch erfüllte sich das Schicksal von Juan Narciso Ucanan, ohne dass die Welt Notiz davon nahm."
Die dargestellte Geschichte erstreckt sich vom 14. Januar bis zum 14. August und ist in 4 Teile plus Prolog und Epilog geteilt. Wirkliche Kapitel gibt es nicht, jedoch wird der Text durch zahlreiche Perspektiv- und Ortswechsel strukturiert. Zu Beginn werden äußerst langsam und ausführlich die verschiedenen Handlungsstränge eingeführt, was leider zur Folge hat, dass die Geschichte fast 200 Seiten Anlauf braucht, um wirklich in Fahrt zu kommen. Scheinbar zusammenhangslos erfassen Wissenschaftler auf der ganzen Welt unterschiedliche Anomalien bei Meerestieren und benötigen aufgrund von berechnender Zurückhaltung und einer miserablen Informationspolitik Monate, bis sie sich mit anderen austauschen können. Das ist zwar sehr realistisch aber leider auch erstmal ziemlich langweilig.
"Da draußen verändert sich die Welt, dachte er. Sie schließt sich gegen uns zusammen. an einem geheimen Ort ist etwas vereinbart worden, und wir waren nicht dabei. Die Menschen waren nicht dabei."
Richtig mitreißend wird es erst als alle nach der ersten Katastrophe aufzuwachen scheinen und die Problematik ernsthaft angehen. Frank Schätzing läuft immer wieder zur Bestform auf (die Tsunami-Szene ist eine der spannendsten, die ich je gelesen habe), überrascht, erschreckt und reißt mit unkonventioneller Action mit, nur um danach wieder in einen langweiligen Trott zu verfallen, in dem Protagonisten sich über Wein unterhalten, wochenlang auf Laborergebnisse warten und gemütlich Urlaub machen. Die vielen Handlungsstränge, lange Kapitel und ausführliche Detailinformationen sorgen dafür, dass die Spannung großen Schwankungen unterworfen ist und sich zwischendurch immer wieder Längen auftun. Mit etwas mehr geschickter Raffung hätten wir uns locker 250 Seiten sparen können. Denn auch wenn Frank Schätzing hier auf höchstem Thriller-Niveau agiert, schießt er an einigen Stellen weit über sein Ziel hinaus.
"Am Ende steht eine idealisierte Welt, in der Millionen Frauen versuchen, wie zehn Supermodels auszusehen, Familien eins Komma zwei Kinder haben und ein Chinese im Schnitt 63 Jahre alt und 1 Meter 70 groß wird. Vor lauter Versessenheit auf Normen übersehen wir dass die Normalität im Abnormalen liegt, in der Abweichung..."
Sein Schreibstil ist ebenfalls ständigen Schwankungen und Veränderungen unterworfen. Anstatt durchgängig eine Erzählart zu halten erzählt er teils flott, teils zähflüssig, teils philosophisch, teils mit platter Hollywood-Action, teils gefühlvoll, teils wissenschaftlich, teils lyrisch und teils schlicht. Dabei verändert er seine Ausdrucksweise nicht konsequent bei verschiedenen Figuren - seine Schreibe scheint vielmehr einer momentanen Laune zu entspringen. Auch wenn mich dies ein wenig ratlos zurückgelassen hat, überzeugte aber insgesamt seine detaillierte und vielseitige Darstellung der Geschehnisse. Denn trotz dass wissenschaftliche Vorträge zugegebenermaßen manchmal etwas plump und unkreativ in die Handlung eingebaut werden, so können dadurch auch Laien die dargestellten wissenschaftlichen Zusammenhänge verstehen. Als großer Vorteil ergibt sich dadurch, dass man problemlos mitraten und rätseln kann, welche globalen Zusammenhänge nun hinter den seltsamen Vorgängen auf der ganzen Welt stecken und zusammen mit den Wissenschaftlern Stück für Stück das Geheimnis ergründen können, das in der Tiefsee lauert.
Hervorzuheben ist außerdem, dass der Autor wahnsinnig gut recherchiert hat. Er lässt ständig Hintergründe biologischer, geologischer, physikalischer, chemischer und historischer Art mit einfließen und fügt somit dem Unterhaltungswert auch einen gewissen Lehrwert hinzu. Ich habe Neues über Gewürm, die nordeuropäische Ölindustrie, Wale Watching in Kanada, das Leben der Inuk, die Entstehung der Kanaren, die Beschaffenheit der Kontinentalhänge, die Problematik um Methanhydrat, die neuste Technik von Tauchrobotern, den Verlauf des Golfstroms, den militärische Einsatz von Meeressäugern und vieles mehr gelernt.
"Die Indianer sind entwurzelt worden. Die Weißen tun mittlerweile ihr Bestes, alles wieder gutzumachen, aber wie sollen sie uns helfen, da sie sich selber entwurzelt haben? Sie zerstören die Welt, die sie hervorgebracht hat. Auch sie haben ihre Heimat verspielt. Auf die ein oder andere Weise haben wir das alle."
Dass er ausgerechnet in die Tiefen der Meere entführt, die dem Menschen wohl für immer ein Rätsel bleiben werden, löst mehr als nur einmal eine beklemmende Atmosphäre aus. Fremde, augenlose Lebensformen, die sich im lichtlosen Wasser unter hohem Druck, eisigen Temperaturen und in samtener Dunkelheit tummeln, wohin wir Menschen nicht vordringen können, entziehen sich unserer Vorstellungskraft. Dadurch dass einige Elemente aus Horror- und Katastrophen-Geschichten übernommen werden, läuft es dem Leser schon mal kalt den Rücken hinunter. Wir suchen das Unbekannte zunehmend im All, wissen aber über unsere eigene Tiefsee weit weniger als über entfernte Sternhaufen. Und die Vorstellung, dass sich eine neue, intelligente Spezies aus der Dunkelheit erhebt und seinen Platz in der Schöpfung einfordert ist schlicht und einfach schauerlich..
"Weißt du, Leon, was das Problem unserer Zeit ist? Die Menschen verlieren ihre Bedeutung. Jeder ist ersetzbar. Es gibt keine Ideale mehr, und ohne Ideale gibt es nichts, was uns größer macht, als wir sind."
Durch tiefgründige Einblicke in seine Figuren, philosophische Fragen über Intelligenzen, Aliens und unsere Stellung in der Schöpfung regt Schätzing zum Nachdenken an und hält den Menschen den Spiegel vor, wie klein und unbedeutend wir sind, wie wenig wir wissen und wie eklatant wir unsere Macht und Intelligenz überschätzen. Gleichzeitig weckt er im Leser eine tiefe Faszination für unser Ökosystem Erde, den Reichtum der Meere und dessen viele unentdeckte Geheimnisse und inspiriert dazu, die Perspektive ein wenig zu verändern. Auch wenn er nicht ohne den typischen erhobenen Zeigerfinger auskommt, hat es mir sehr gut gefallen, dass er die Ausbeutung der Natur durch den Menschen scharf anprangert und zu mehr Respekt und Demut vor anderen Lebensformen auffordert. Sehr schön war auch die teilweise parodistische Darstellung des amerikanischen Präsidenten, der amerikanischen Vorherrschaft, des US-Militärs und stumpfen Gottvertrauens. Wie er außerdem durch kleine ironische Spitzen die typischen Action-Blockbuster kritisiert, hat mir ebenfalls gut gefallen. Achtung Spoiler!! Die Lebensweise der intelligenten Lebensform wird hier objektiv erforscht und unvoreingenommen unter die Lupe genommen, wobei mit vielen gängigen Klischees aus Filmen und Büchern aufgeräumt wird. Die Yrr sind eine spannende, hochkomplexe Art und ausnahmsweise mal keine bösen, fremdartig grünen Marsmenschen. Spoiler Ende.
"Die Heldenrollen in dieser Geschichte sind bereits verteilt, und es sind Rollen für Tote. - Du gehörst in die Welt der Lebenden."
Trotz dass seine etlichen Protagonisten nach erkennbaren Mustern und Stereotypen aufgebaut sind - die engagierte Studentin, der rigorose Umweltaktivist, die karrieregeile Offizierin, der verrückte Wissenschaftler, die neugierige Journalistin und der selbstlose Held - nimmt der Autor sich genügend Zeit, um zumindest seine Hauptprotagonisten zu entwickeln. Der Wissenschaftler und Lebemann Sigur Johanson ist neben der offiziellen Hauptfigur Leon Anawak der heimliche Held der Geschichte, auch wenn der Gedanke aufkommt, ob sich Frank Schätzing hier nicht selbst in die Geschichte geschmuggelt hat. Auch von weiblicher Seite gibt es einige spannende Personen, die jedoch Großteils eher blass bleiben. Meine absolute Lieblingsperson war auf jeden Fall die Weltraumforscherin Samantha Crowe - ihr trockener Humor ist einfach super ;-) Doch auch wenn ich die ein oder andere Person wirklich mochte, blieb durch die schiere Masse an Protagonisten immer eine emotionale Distanz bestehen und auch wenn ich mit allen Protagonisten mit gefiebert habe, ist ein wenig zu kritisieren ist, dass - gerade im letzten Drittel - viele Nebenfiguren auf ähnlich reißerische Weise sterben und dabei an einigen Stellen der Eindruck entsteht, dass manche Rollen nur eingeführt wurden, um spektakulär sterben zu können. So blieben viele Namen wie Rubin, Frost, Roscowitz, Buchanon, Bohrmann, Shoemaker, Fenwick oder Roche oft nur ein unscharfer Haufen an Funktionsträgern, die aber schwer auseinander zu halten waren. Außerdem erzählt der Autor häufig nur durch Nachnamen von seinen Personen, wodurch ich sehr verwirrt war, wenn in Dialogen plötzlich Vornamen auftauchten, die ich nicht zuordnen konnte.
"Wir werden Zeuge des viel beschriebenen Krieges zwischen den Planeten. Zwei Planeten, die wir nur als solche nicht erkennen, weil sie zu einem verschmolzen sind. Während wir nach oben geschaut haben in der Erwartung fremder Intelligenzen aus dem All, zeigen sie sich nun als Teil unserer Welt, den wir uns nie wirklich zu verstehen bemüht haben."
Allgemein ist das Ende neben den längeren Durststrecken die größte Schwachstelle des Romans. Mal davon abgesehen dass sich das letzte Drittel trotz ironischer Kritik des Autors gegenüber Katastrophen-Blockbustern liest wie ein Drehbuch eines solchen Hollywood-Films, wirkt der Abschluss der Geschichte ein wenig überhastet und oberflächlich. Gerade in der Schlussszene würde man als Leser dieses Wälzers einen großen Twist, einen spannenden Kampf oder eine epische Endszene erwarten, stattdessen bleiben wir seitenlang in einem - zugegebenermaßen auch recht seltsamen - Handlungsstrang und vernachlässigen, was ansonsten passiert. So wird ausufernd der Kreislauf des Meeres beschrieben und die Geschichte schläft mit einer skurril anmutenden Reise durch die Weltmeere langsam ein statt in einem intelligenten und spannenden Showdown zu gipfeln. Dafür dass zuvor ein riesiges Weltuntergangsszenario plattgetreten und tiefgehende Forschung betrieben wurde, löst sich das Problem viel zu schnell und es bleiben etliche Fragen offen. Selbstverständlich können nicht alle ausstehenden Probleme gelöst werden - immerhin hinterlässt die Schlusssituation die Menschheit in Chaos und Verwirrung - dennoch hätte ich zumindest erwartet, dass alle Handlungsstränge zu Ende geführt werden ("Wird der Taucher aus der Felsspalte gerettet?", "Wie retten sich die restlichen Passagiere vom Schiff?", etc). Die globale Situation ein Jahr nach der Katastrophe wird in einem sechs seitigen Epilog, der sich hauptsichtlich um die Weltreligionen dreht mehr schlecht als recht angerissen. Wenn also der Einstieg viel zu lang und ausführlich war, hat mir am Ende einfach noch was gefehlt, sodass ich die Geschichte nicht gänzlich befriedigt abschließen musste.
"Lass dich nicht von der Angst einholen. Du hast Recht, du bist schnell.
Sei schneller als die Angst."
Der Beginn von etwas.
Ein Plan. Alles ist gesteuert..."
Ein "yrrsinniges Weltuntergangsszenario" (wer das Buch gelesen hat wird meinen Wortwitz verstehen) vollgestopft mit Hintergrundwissen auf fast 1000 Seiten? Das ist selbst für mich als schnelle und konsequente Leserin eine Herausforderung, weshalb ich die Geschichte viel zu lange verschmäht habe. Im letzten Urlaub habe ich mich nun endlich herangewagt und bin in den Genuss einer Geschichte gekommen, die zwar auch einige Schwächen hatte, die ich aber sicher nie wieder vergessen werde! Eine hochspannende, gruselige Geschichte, in der Wissenschaft und Fiktion nahtlos ineinander übergehen und die zum Nachdenken anregt.
Das Cover ist mit dem schwarzen Hintergrund sehr schlicht gehalten und an die undurchdringliche Dunkelheit der Tiefsee angelehnt. Daraus sticht stark die blau leuchtende Formation hervor, die stark an ein Auge erinnert, wohl aber auf die blau fluoreszierende Wolke anspielt, welche die Wissenschaftler der Geschichte in Verwunderung versetzt. Der Titel, "Der Schwarm" erscheint schon fast banal angesichts des hochkomplexen Handlungsgefüges des Romans und scheint für mich nicht zu 100% treffend. Da mir aber kein anderer Titel einfällt, der besser passen würde, will ich nicht motzen. "Die Gallerte" klingt zu schleimig, "Das Kollektiv" zu hochgestochen und bei der "Yrrsinn" würde die Weltpresse einen Rechtschreibfehler vermuten ;-) Zu bemängeln habe ich nur, das die Schriftgröße sehr klein und die Seiten sehr dünn sind - was zwar zur Folge hat, dass das Buch nicht noch mehr Seiten erhält, die Handlichkeit des Taschenbuches aber nicht gerade steigert.
Erster Satz: "An jenem Mittwoch erfüllte sich das Schicksal von Juan Narciso Ucanan, ohne dass die Welt Notiz davon nahm."
Die dargestellte Geschichte erstreckt sich vom 14. Januar bis zum 14. August und ist in 4 Teile plus Prolog und Epilog geteilt. Wirkliche Kapitel gibt es nicht, jedoch wird der Text durch zahlreiche Perspektiv- und Ortswechsel strukturiert. Zu Beginn werden äußerst langsam und ausführlich die verschiedenen Handlungsstränge eingeführt, was leider zur Folge hat, dass die Geschichte fast 200 Seiten Anlauf braucht, um wirklich in Fahrt zu kommen. Scheinbar zusammenhangslos erfassen Wissenschaftler auf der ganzen Welt unterschiedliche Anomalien bei Meerestieren und benötigen aufgrund von berechnender Zurückhaltung und einer miserablen Informationspolitik Monate, bis sie sich mit anderen austauschen können. Das ist zwar sehr realistisch aber leider auch erstmal ziemlich langweilig.
"Da draußen verändert sich die Welt, dachte er. Sie schließt sich gegen uns zusammen. an einem geheimen Ort ist etwas vereinbart worden, und wir waren nicht dabei. Die Menschen waren nicht dabei."
Richtig mitreißend wird es erst als alle nach der ersten Katastrophe aufzuwachen scheinen und die Problematik ernsthaft angehen. Frank Schätzing läuft immer wieder zur Bestform auf (die Tsunami-Szene ist eine der spannendsten, die ich je gelesen habe), überrascht, erschreckt und reißt mit unkonventioneller Action mit, nur um danach wieder in einen langweiligen Trott zu verfallen, in dem Protagonisten sich über Wein unterhalten, wochenlang auf Laborergebnisse warten und gemütlich Urlaub machen. Die vielen Handlungsstränge, lange Kapitel und ausführliche Detailinformationen sorgen dafür, dass die Spannung großen Schwankungen unterworfen ist und sich zwischendurch immer wieder Längen auftun. Mit etwas mehr geschickter Raffung hätten wir uns locker 250 Seiten sparen können. Denn auch wenn Frank Schätzing hier auf höchstem Thriller-Niveau agiert, schießt er an einigen Stellen weit über sein Ziel hinaus.
"Am Ende steht eine idealisierte Welt, in der Millionen Frauen versuchen, wie zehn Supermodels auszusehen, Familien eins Komma zwei Kinder haben und ein Chinese im Schnitt 63 Jahre alt und 1 Meter 70 groß wird. Vor lauter Versessenheit auf Normen übersehen wir dass die Normalität im Abnormalen liegt, in der Abweichung..."
Sein Schreibstil ist ebenfalls ständigen Schwankungen und Veränderungen unterworfen. Anstatt durchgängig eine Erzählart zu halten erzählt er teils flott, teils zähflüssig, teils philosophisch, teils mit platter Hollywood-Action, teils gefühlvoll, teils wissenschaftlich, teils lyrisch und teils schlicht. Dabei verändert er seine Ausdrucksweise nicht konsequent bei verschiedenen Figuren - seine Schreibe scheint vielmehr einer momentanen Laune zu entspringen. Auch wenn mich dies ein wenig ratlos zurückgelassen hat, überzeugte aber insgesamt seine detaillierte und vielseitige Darstellung der Geschehnisse. Denn trotz dass wissenschaftliche Vorträge zugegebenermaßen manchmal etwas plump und unkreativ in die Handlung eingebaut werden, so können dadurch auch Laien die dargestellten wissenschaftlichen Zusammenhänge verstehen. Als großer Vorteil ergibt sich dadurch, dass man problemlos mitraten und rätseln kann, welche globalen Zusammenhänge nun hinter den seltsamen Vorgängen auf der ganzen Welt stecken und zusammen mit den Wissenschaftlern Stück für Stück das Geheimnis ergründen können, das in der Tiefsee lauert.
Hervorzuheben ist außerdem, dass der Autor wahnsinnig gut recherchiert hat. Er lässt ständig Hintergründe biologischer, geologischer, physikalischer, chemischer und historischer Art mit einfließen und fügt somit dem Unterhaltungswert auch einen gewissen Lehrwert hinzu. Ich habe Neues über Gewürm, die nordeuropäische Ölindustrie, Wale Watching in Kanada, das Leben der Inuk, die Entstehung der Kanaren, die Beschaffenheit der Kontinentalhänge, die Problematik um Methanhydrat, die neuste Technik von Tauchrobotern, den Verlauf des Golfstroms, den militärische Einsatz von Meeressäugern und vieles mehr gelernt.
"Die Indianer sind entwurzelt worden. Die Weißen tun mittlerweile ihr Bestes, alles wieder gutzumachen, aber wie sollen sie uns helfen, da sie sich selber entwurzelt haben? Sie zerstören die Welt, die sie hervorgebracht hat. Auch sie haben ihre Heimat verspielt. Auf die ein oder andere Weise haben wir das alle."
Dass er ausgerechnet in die Tiefen der Meere entführt, die dem Menschen wohl für immer ein Rätsel bleiben werden, löst mehr als nur einmal eine beklemmende Atmosphäre aus. Fremde, augenlose Lebensformen, die sich im lichtlosen Wasser unter hohem Druck, eisigen Temperaturen und in samtener Dunkelheit tummeln, wohin wir Menschen nicht vordringen können, entziehen sich unserer Vorstellungskraft. Dadurch dass einige Elemente aus Horror- und Katastrophen-Geschichten übernommen werden, läuft es dem Leser schon mal kalt den Rücken hinunter. Wir suchen das Unbekannte zunehmend im All, wissen aber über unsere eigene Tiefsee weit weniger als über entfernte Sternhaufen. Und die Vorstellung, dass sich eine neue, intelligente Spezies aus der Dunkelheit erhebt und seinen Platz in der Schöpfung einfordert ist schlicht und einfach schauerlich..
"Weißt du, Leon, was das Problem unserer Zeit ist? Die Menschen verlieren ihre Bedeutung. Jeder ist ersetzbar. Es gibt keine Ideale mehr, und ohne Ideale gibt es nichts, was uns größer macht, als wir sind."
Durch tiefgründige Einblicke in seine Figuren, philosophische Fragen über Intelligenzen, Aliens und unsere Stellung in der Schöpfung regt Schätzing zum Nachdenken an und hält den Menschen den Spiegel vor, wie klein und unbedeutend wir sind, wie wenig wir wissen und wie eklatant wir unsere Macht und Intelligenz überschätzen. Gleichzeitig weckt er im Leser eine tiefe Faszination für unser Ökosystem Erde, den Reichtum der Meere und dessen viele unentdeckte Geheimnisse und inspiriert dazu, die Perspektive ein wenig zu verändern. Auch wenn er nicht ohne den typischen erhobenen Zeigerfinger auskommt, hat es mir sehr gut gefallen, dass er die Ausbeutung der Natur durch den Menschen scharf anprangert und zu mehr Respekt und Demut vor anderen Lebensformen auffordert. Sehr schön war auch die teilweise parodistische Darstellung des amerikanischen Präsidenten, der amerikanischen Vorherrschaft, des US-Militärs und stumpfen Gottvertrauens. Wie er außerdem durch kleine ironische Spitzen die typischen Action-Blockbuster kritisiert, hat mir ebenfalls gut gefallen. Achtung Spoiler!! Die Lebensweise der intelligenten Lebensform wird hier objektiv erforscht und unvoreingenommen unter die Lupe genommen, wobei mit vielen gängigen Klischees aus Filmen und Büchern aufgeräumt wird. Die Yrr sind eine spannende, hochkomplexe Art und ausnahmsweise mal keine bösen, fremdartig grünen Marsmenschen. Spoiler Ende.
"Die Heldenrollen in dieser Geschichte sind bereits verteilt, und es sind Rollen für Tote. - Du gehörst in die Welt der Lebenden."
Trotz dass seine etlichen Protagonisten nach erkennbaren Mustern und Stereotypen aufgebaut sind - die engagierte Studentin, der rigorose Umweltaktivist, die karrieregeile Offizierin, der verrückte Wissenschaftler, die neugierige Journalistin und der selbstlose Held - nimmt der Autor sich genügend Zeit, um zumindest seine Hauptprotagonisten zu entwickeln. Der Wissenschaftler und Lebemann Sigur Johanson ist neben der offiziellen Hauptfigur Leon Anawak der heimliche Held der Geschichte, auch wenn der Gedanke aufkommt, ob sich Frank Schätzing hier nicht selbst in die Geschichte geschmuggelt hat. Auch von weiblicher Seite gibt es einige spannende Personen, die jedoch Großteils eher blass bleiben. Meine absolute Lieblingsperson war auf jeden Fall die Weltraumforscherin Samantha Crowe - ihr trockener Humor ist einfach super ;-) Doch auch wenn ich die ein oder andere Person wirklich mochte, blieb durch die schiere Masse an Protagonisten immer eine emotionale Distanz bestehen und auch wenn ich mit allen Protagonisten mit gefiebert habe, ist ein wenig zu kritisieren ist, dass - gerade im letzten Drittel - viele Nebenfiguren auf ähnlich reißerische Weise sterben und dabei an einigen Stellen der Eindruck entsteht, dass manche Rollen nur eingeführt wurden, um spektakulär sterben zu können. So blieben viele Namen wie Rubin, Frost, Roscowitz, Buchanon, Bohrmann, Shoemaker, Fenwick oder Roche oft nur ein unscharfer Haufen an Funktionsträgern, die aber schwer auseinander zu halten waren. Außerdem erzählt der Autor häufig nur durch Nachnamen von seinen Personen, wodurch ich sehr verwirrt war, wenn in Dialogen plötzlich Vornamen auftauchten, die ich nicht zuordnen konnte.
"Wir werden Zeuge des viel beschriebenen Krieges zwischen den Planeten. Zwei Planeten, die wir nur als solche nicht erkennen, weil sie zu einem verschmolzen sind. Während wir nach oben geschaut haben in der Erwartung fremder Intelligenzen aus dem All, zeigen sie sich nun als Teil unserer Welt, den wir uns nie wirklich zu verstehen bemüht haben."
Allgemein ist das Ende neben den längeren Durststrecken die größte Schwachstelle des Romans. Mal davon abgesehen dass sich das letzte Drittel trotz ironischer Kritik des Autors gegenüber Katastrophen-Blockbustern liest wie ein Drehbuch eines solchen Hollywood-Films, wirkt der Abschluss der Geschichte ein wenig überhastet und oberflächlich. Gerade in der Schlussszene würde man als Leser dieses Wälzers einen großen Twist, einen spannenden Kampf oder eine epische Endszene erwarten, stattdessen bleiben wir seitenlang in einem - zugegebenermaßen auch recht seltsamen - Handlungsstrang und vernachlässigen, was ansonsten passiert. So wird ausufernd der Kreislauf des Meeres beschrieben und die Geschichte schläft mit einer skurril anmutenden Reise durch die Weltmeere langsam ein statt in einem intelligenten und spannenden Showdown zu gipfeln. Dafür dass zuvor ein riesiges Weltuntergangsszenario plattgetreten und tiefgehende Forschung betrieben wurde, löst sich das Problem viel zu schnell und es bleiben etliche Fragen offen. Selbstverständlich können nicht alle ausstehenden Probleme gelöst werden - immerhin hinterlässt die Schlusssituation die Menschheit in Chaos und Verwirrung - dennoch hätte ich zumindest erwartet, dass alle Handlungsstränge zu Ende geführt werden ("Wird der Taucher aus der Felsspalte gerettet?", "Wie retten sich die restlichen Passagiere vom Schiff?", etc). Die globale Situation ein Jahr nach der Katastrophe wird in einem sechs seitigen Epilog, der sich hauptsichtlich um die Weltreligionen dreht mehr schlecht als recht angerissen. Wenn also der Einstieg viel zu lang und ausführlich war, hat mir am Ende einfach noch was gefehlt, sodass ich die Geschichte nicht gänzlich befriedigt abschließen musste.
"Lass dich nicht von der Angst einholen. Du hast Recht, du bist schnell.
Sei schneller als die Angst."
Fazit:
Eine hochspannende, gruselige Geschichte, in der Wissenschaft und Fiktion nahtlos ineinander übergehen und die zum Nachdenken anregt. Mit mehreren Spannungsbögen, abwechslungsreichen Handlungssträngen, zwischenmenschlichen Beziehungen, hochaktuelle Problematiken und sehr detailliertem Hintergrundwissen zwar komplex, aber an manchen Stellen viel zu langatmig und am Ende total überhastet.
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