
Allgemeines
Titel: Das Gewicht der Worte
Autor: Pascal Mercier
Verlag: Carl Hanser (27. Januar 2020)
Genre: Philosophischer Roman
ISBN-10: 3446265694
ISBN-13: 978-3446265691
ASIN: B081HH68S6
Seitenzahl: 576 Seiten
Preis: 26€ (gebundenes Buch)
11,99€ (Kindle-Edition)
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Inhalt
Seit seiner Kindheit ist Simon Leyland von Sprachen fasziniert. Gegen den Willen seiner Eltern wird er Übersetzer und verfolgt unbeirrt das Ziel, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden. Von London folgt er seiner Frau Livia nach Triest, wo sie einen Verlag geerbt hat. In der Stadt bedeutender Literaten glaubt er den idealen Ort für seine Arbeit gefunden zu haben – bis ihn ein ärztlicher Irrtum aus der Bahn wirft. Doch dann erweist sich die vermeintliche Katastrophe als Wendepunkt, an dem er sein Leben noch einmal völlig neu einrichten kann....
Bewertung
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman gebraucht, der zugleich Betrachtung eines Lebens, Studie von Sprache, Worten und Literatur und philosophische Diskussion ist. Dabei ist das Geschilderte vom ersten „Welcome home, Sir“ bis zum letzten „Welcome home, Sir“ zwar durchaus beeindruckend, interessant und anregend, aber leider ohne Spannung und eher ermüdend erzählt, weshalb ein gemischter Gesamteindruck zurückbleibt.

Erster Satz: "Welcome home, Sir", sagte der Beamte bei der Passkontrolle am Londoner Flughafen."

"Es war ein Dunkel nach dem Ende eines Lebens, ein Dunkel, in dem die Zeit nicht mehr floss. Er würde nachher überall Licht machen und sie von neuem zum Fließen bringen. Aber nicht gleich. Er bestellte noch einmal Tee und etwas zu essen. Jetzt, da er wieder eine Zukunft hatte, wollte er verschwenderisch mit seiner Zeit umgehen. Spüren, wie sie verstrich, ohne dass er etwas tat. Spüren, dass er nicht mehr atemlos einem Ende zutrieb. Spüren, dass er Dinge aufschieben konnte, ohne es später zu bereuen."

"Alles, was für ihn jemals gezählt hatte, waren Worte. Etwas existierte erst wirklich, wenn es benannt und besprochen wurde. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm zugestoßen und war von Anfang an so gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen."
Und die Antwort ist leider: nirgendwohin! Es kommt ein Punkt in der Geschichte, ab wo beinahe alle Geheimnisse gelüftet und viele der kleinen Spannungsbögen ihren Höhepunkt erreicht haben und nur noch schrittweise Neues passiert. Ab hier wird das Buch deutlich schwächer, büßt Lebendigkeit und Antrieb ein. Auch die Wiederholungen, die durch den besonderen Erzählstil mit bedingt sind, werden ab diesem Punkt nochmal mehr, sodass sich das letzte Drittel recht zäh liest. Dazu kommt, dass wir recht ziellos durch die Handlung steuern und ich bald das Gefühl, ich hätte noch 200 Seiten mehr über Simon Leyland lesen können, oder auch 200 Seiten weniger und das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ich habe die zweite Hälfte und auch das Ende also als eher willkürlich gewählt empfunden. Es fehlte mir hier eine klare Struktur, ein erkennbares Ziel, ein Schlusspunkt - so ist die gesamte Gestaltung der Handlung eher unbefriedigend.
"Wir leben ja mit dem Gefühl, in enger, nahtloser Verbindung mit unserer Vergangenheit zu stehen und den Faden unseres Lebens ohne Riss und Unterbruch von Tag zu Tag fortzuspinnen. Es wäre unerträglich, dieses Gefühl zu verlieren. Doch die Wahrheit ist es nicht: Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung umspült von Vergessen, wir springen von der einen zur anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns."

"Es ist etwas Großes, Gewaltiges, wenn man vor jemanden hintritt und ihn fragt, wie seine eigene, seine ganze besondere Stimme klinge, in der Art, wie seine Worte kämen, und der Art, wie die Bilder seiner Fantasie sich formten. Diese Frage ist geeignet, jemanden aus der Fassung zu bringen"

"Manchmal nimmt das Wort einer Sache den Schrecken, und es ist eine Befreiung, es auszusprechen. Doc manchmal spüren wir: Das Wort würde den Schrecken noch größer machen. Dann halten wir es unter Verschluss. Und manchmal verwechseln wir die beiden Fälle."

"Aus verborgenem, verschwiegenem Wissen war ausdrückliches, in Worte fassbares Wissen geworden. Es war kein abstraktes Wissen, es wirkte in das Erleben hinein. Es war wie ein Aufwachen, ein unaufhaltsames Aufwachen, das ich mit den ersten Phantasien und den ersten Sätzen in Gang gesetzt hatte, und ich war am Ende nicht mehr dieselbe wie vorher."
Ich halte also fest: kaum vorhandene Spannung, spannende Anstöße aber fehlende Greifbarkeit und Figuren, die zunehmend zu einem Einheitsbrei verschwimmen - das klingt alles andere als der Stoff, aus dem ein Stück Weltliteratur gemacht ist. Weshalb würde ich "Das Gewicht der Worte" also dennoch als lesenswert einstufen? Das hängt vor allem mit der Sprache des Autors zusammen, die hier ganz dem thematischen Fokus entsprechend leise, zurückhaltend, reflektiert und ausgefeilt ist. Vor allem die vielen Einbezüge anderer Sprachen, vor allem französisch, englisch und italienisch, machen die Erzählung vielschichtig und komplex und durch die wenige Handlung hat der Autor viel Raum, Nicht-Stoffliches in Worte zu kleiden. Dabei ist aber auch nicht die Erzählweise über jede Kritik erhaben. Negativ aufgefallen ist mir, dass man zwar deutlich merkt, wie sehr der Autor an jedem Wort gefeilt hat, aber trotzdem oder gerade deswegen nicht alles natürlich schien. "Das Gewicht der Worte" ist ohne Zweifel sehr schön und feinsinnig geschrieben, an manchen Stellen fast poetisch, aber leider hatten auch viele Worte einen angeberischen Beigeschmack und fügten sich nicht mühelos in die Erzählung ein. Pascal Mercier hat hier viele gewichtige Worte gefunden, wirklich zu berühren und mitzureißen verstehen diese jedoch nicht. Das Lesen bleibt Arbeit und man spürt das Gewicht dieser Worte mit jeder Seite.
"Die Phantasie - das spüre ich so deutlich in diesen Tagen - ist der eigentliche Ort der Freiheit."
Fazit
Pascal Mercier erzählt leise, zurückhaltend und reflektiert von Wendungen des Lebens, der Gegenwärtigkeit der Poesie, dem Wesen der Zeit und vor allem von Sprache, Wörtern und Literatur. Sprachlich zwar auf hohem Niveau fehlt "Das Gewicht der Worte" aber Spannung, Lebendigkeit und eine klare Struktur.
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