Allgemeines
Titel: Das dunkle Herz des Waldes
Autorin: Naomi Novik
Verlag:
cbj (21. November 2016)
Genre: High Fantasy
ISBN-10: 3570172686
ISBN-13: 978-3570172681
ASIN: B01M032U2M
Seitenzahl: 576 Seiten
Originaltitel: Uprooted
Preis: 9,99€ (Taschenbuch)
6,99€ (Kindle-Edition)
17,99€ (gebundene Ausgabe)
Link:
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Inhalt
Bewertung
Schon mit "Das kalte Reich des Silbers" konnte mich Naomi Novik 2019 in ihren Bann ziehen. Keine Frage, dass ich auch ihrem erfolgreichsten Roman "Das dunkle Herz des Waldes" eine Chance geben musste. Und WOWOWOWOW, mit so einer hochspannenden, gut durchdachten, atmosphärischen Geschichte hätte ich trotz allem nicht gerechnet. Zwar ist dieses High Fantasy Abenteuer keineswegs perfekt, der Geschichte wohnt jedoch eine berührende Andersartigkeit inne, die sie von anderen Fantasy-Romanen abhebt. Und sind wir doch mal ehrlich: die wirklich genialen Highlights sind doch nicht die, bei denen uns kein einziger Kritikpunkt einfällt, sondern die, bei denen wir haufenweise Dinge anders gemacht hätten, die aber trotzdem so perfekt sind, dass man sie einfach von ganzem Herzen lieben muss.
Schon die wunderschöne Gestaltung hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Zusehen sind mehrere geheimnisvoll schimmernde Bäume, um deren Kronen Vögel aufflattern vor einem cremeweißen Himmel, der sich nach oben hin zu einem düsteren grün verdunkelt, als würde eine Wolke aus Elend über dem Wald schweben. Zu den Füßen der Bäume steht eine Frau in weitem wallenden Gewand, die wir zum Glück nur von hinten sehen. Da die düster-magische Gestaltung die Atmosphäre gut einfängt und auch alle wichtigen Hauptmotive zusehen sind, bin ich sehr zufrieden mit der Umsetzung, auch wenn für mich das englische Originalcover etwas die Nase vorn hat. Auch mit dem Titel, "Das dunkle Herz des Waldes" hat der deutsche Verlag eine gute Wahl getroffen, gegen die erste Wahl der Autorin, "Uprooted", kommt aber auch der deutsche Titel nicht heran. Unter dem Umschlag erwartet uns ein schlichtes Grün und die Kapitelanfänge sind jeweils mit Dornenranken verziert.
Erster Satz: "Es stimmt nicht, dass der Drache die Mädchen, die er sich holt, verspeist."
Schon mit dem ersten Satz spielt die Autorin mit den Erwartungen ihrer Leser, wohl wissend, dass keiner von uns weiß, worauf er oder sie sich beim Lesen dieser Geschichte eingelassen hat. Merkt Euch folgendes: Egal was Ihr Euch beim Lesen des Klapptexts ausgemalt habt - "Das dunkle Herz des Waldes" geht einen anderen Weg. Und das ist der erste Grund, weshalb dieser Roman in meine absoluten Top-10-Fanatsy-Bücher gerutscht ist: das sehr unvorhersehbare, dynamische Handlungskonzept. Auch wenn hier Grundstrukturen von vielen Fantasy-Romanen wiederzufinden sind (typische Grundstrukturen wie "Auserwählte erfährt von ihrer Besonderheit, wird ausgebildet und zieht in Kampf gegen das Böse" findet man nun wirklich in jedem Fantasy-Abenteuer), kann man der Geschichte definitiv kein stereotypes Schema überstülpen. Wie ein Fluss verändert die Handlung immer wieder ihre Richtung, wenn man gerade gedacht hat, man wüsste, worauf sie hinauslaufen wird. Naomi Novik führt auf falsche Fährten, lässt ihren Lesern wenig Unterstützung durch die Erzählerin zukommen und lässt sie ihren eigenen Weg durch die Geschichte kämpfen. Sie erzählt eine Geschichte voller Widersprüche - nicht unbedingt inhaltlich, sondern mehr atmosphärisch -, und das ist es, was die Geschichte so interessant macht. Um das genauer zu erklären, will ich einmal grob den Verlauf der Geschichte skizzieren. Wenn Ihr Euch auf keinen Fall spoilern wollt, überspringt einfach den nächsten Abschnitt.
"Alles an ihm sprach eine deutliche Sprache: Ich bin keiner von euch und ich will es auch nicht sein."
Zunächst setzt Naomi Novik einen starken Fokus auf das Tal, in dem unsere Protagonistin Agnieszka aufgewachsen ist und erzählt vom einfachen Leben der Menschen im Schatten des dunklen Waldes, beschützt von einem mächtigen Zauberer, der nur "der Drache" genannt wird und alle 10 Jahre ein Mädchen für seine Dienste fordert. Als der Drache entgegen allen Erwartungen ausgerechnet die tollpatschige, unscheinbare Agnieszka auswählt und zu sich in seinen Turm holt, erwartet man als in diesem Genre geübter Leser die Entfaltung eines "Beauty-and-the-Beast"-Trope. Die erste Überraschung ist jedoch, dass Naomi Novik sich hier eine Menge Zeit lässt, ein langsames Kennenlernen beschreibt, das von unbeholfener Zurückhaltung, zwischenmenschlicher Spannung und einem holprigen Entdecken der Magie geprägt ist, nur um die Geschichte dann von einer Seite zur nächsten zu einem spannungsgeladenen, teilweise brutalen Abenteuer zu wandeln, mit dessen Intensität man nicht gerechnet hätte. Doch dann, gerade als man sich dann nach der hochspannenden ersten Konfrontation mit dem dunklen Wald auf weitere Abenteuer freut, schaltet die Autorin wieder einen Gang zurück und lässt ihre Protagonistin an den Königshof in der Hauptstadt reisen, um sich den Intrigen der Zauberer und Höflinge zu stellen. In diesem Teil kommt der Drache dann auch überhaupt nicht vor. Dann erfolgt ein weiterer schneller Richtungswechsel mit einem sehr militärisch, blutigen Schlacht-Part, bevor die Geschichte erneut eine ganz andere Saite anklingen lässt und in einem verträumten, sanftmütigen und absolut perfekten Ende gipfelt, der Hintergründe des dunklen Waldes miteinbaut und diese facettenreiche, unvorhersehbare Geschichte wunderbar abrundet, mit dem ich aber niemals gerechnet hätte.
"Sie hatte es nicht geschafft, Wurzeln zu schlagen. Sie hatte sich an die falschen Dinge erinnert und zu viel vergessen. Sie erinnerte sich daran, wie man tötete und wie man hasste, aber sie hatte vergessen, wie man wuchs. Alles, was sie am Ende hatte tun können, war, sich neben ihre Schwester zu legen: nicht wirklich träumend, nicht wirklich tot."
Zum dynamischen Handlungskonzept gesellt sich Naomi Noviks einzigartiger (das schreibe ich nicht oft, da sich die Schreibstile im Jugendbuchbereich häufig stark ähneln, aber die Erzählweise der Autorin hat wirklich einen sehr hohen Wiedererkennungswert) Schreibstil. Angereichert mit sehr viele Tiefe, vielen Details und zwischen den Zeilen transportiertem kommt die Geschichte stellenweise eher schwerfällig daher. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Roman langweilig wäre, oder es keine Actionszenen gäbe. Das Erzähltempo wandelt sich genau wie die Handlung oft von Seite zu Seite, sodass man sich beim Lesen fühlt, als würde die Autorin einmal kurz das Gaspedal antippen, um einen langsamen Mitfahrer zu überholen, nur um danach wieder gemütlich über die Landstraße zu schleichen. Auch in den gemächlicheren Passagen ist der Spannungsbogen dabei so sorgfältig ausgearbeitet, dass es keine Durststrecken gibt. Ich kann dennoch nachvollziehen, wenn Leser mit diesem Wechsel ihre Probleme hatten und nicht genau wussten, was sie mit der Geschichte anfangen sollen. Mir persönlich hat aber genau das sehr imponiert. "Das dunkle Herz des Waldes" ist wie einer der aufwändigen Zaubersprüche des Drachens: Sie benötigt eine Weile, um hinter den Worten den Sinn zu erkennen und die Magie entfaltet sich erst, wenn man sich geduldig darauf einlässt. Und so habe ich mich in diese Geschichte verliebt. Erst sehr zurückhaltend und langsam, mit jeder Seite ein kleines bisschen mehr und dann so plötzlich, unaufhaltsam und heftig, dass sie definitiv zu einem Jahreshighlight geworden ist!
"Ich danke dir - Sarkan." Sein Name schmeckte nach Feuer und Flügeln, nach sich kräuselndem Rauch, nach Raffiniertheit und Stärke und dem schabenden Rauschen von Drachenschuppen."
"Es gab auch in diesem Wald ein Lied, aber es war ein grausames Lied, das von Wahnsinn und vom Zerreißen und von Zorn erzählte."
Für die Liebesgeschichte bedeutet der eher distanzierte Schreibstil, dass sie sehr stark im Hintergrund abläuft und nur zu wenigen ausgewählten Zeitpunkten zu Tage tritt. Doch diese Geschichte hat keine brennende Leidenschaft und knisternde Romantik nötig, um Leserherzen zu gewinnen. Dieser Roman lebt vielmehr vom krassen Wechselspiel zwischen kühler, berechnender Logik und mythischer, düsterer Fantasy und verblüfft immer wieder mit Wendungen, Intrigen und Gedankenspielen, die weitaus komplexer sind, als man das von Fantasy-Romanen erwarten würde. Wer braucht schon eine schnelllebige, temporeiche Geschichte mit überbordenden Emotionen, wenn man unterschwellige Konflikte, Tiefe und eine düstere Märchenatmosphäre mit undurchsichtigen Zauberern, bösartige Kreaturen, giftigen Pollen, tückischen Pflanzen und vergifteten Herzen haben kann....? Angelehnt sind die Märchen-Elemente in "Das dunkle Herz des Waldes" genau wie schon bei "Das kalte Reich des Silbers" an polnische Sagen, welche sie geschickt in ein mittelalterliches Fantasy-Setting eingebunden hat. Auch das Worldbuilding spielt in einer Top-Liga. Anstatt über altbekannte Wesen wie Vampire, Werwölfe, Fae, Elfen, Zwerge oder Hexen zu schreiben lässt sie ein mittelalterliches Volk, beschützt von einer Delegation aus Magiern auf einen sehr ungewöhnlichen Feind treffen: einen magischen, verderbten Wald. Zwischen Problemen und Grausamkeiten von dieser Welt mischen sich scheinbar mühelos magische Phänomene und Naomi Novik schafft es mit manchmal etwas sperrigen aber immer magischen Worten, eine spannende neue Welt zum Leben zu erwecken.
Fazit
"Das dunkle Herz des Waldes" ist wie einer der aufwändigen Zaubersprüche des Drachens: Sie benötigt eine Weile, um hinter den Worten den Sinn zu erkennen und die Magie entfaltet sich erst, wenn man sich geduldig darauf einlässt. Doch wenn dann die komplexe Handlungsdynamik, der einzigartige Schreibstil und die langsame Figurenentwicklung ihr Übriges tun, ist es ein tiefgründiges, bewegendes, dunkles Erlebnis, das man nicht mehr so schnell vergisst.
Schönen guten Morgen!
AntwortenLöschenEs freut mich sehr, dass dich das Buch so begeistern konnte! Mich hat es leider nicht erreichen können - wobei ich auch einiges an der Geschichte wirklich gut fand.
Meine Erinnerung lässt mich da leider mal wieder ziemlich im Stich, aber ich weiß definitiv noch, dass ich "den Drachen" total schrecklich fand. So ein mega unsympathischer Kerl mit so vielen unnötigen plumpen Szenen zwischen den beiden, das hat mir ziemlich viel vermiest an der Geschichte ...
Aber so unterschiedlich nimmt man das eben auf ;)
Liebste Grüße, Aleshanee
Hey Aleshanee,
Löschenich habe ja schon in meiner Rezension geschrieben, dass ich es absolut nachvollziehen kann, wenn man von diesem Buch nicht so richtig erreicht wird. Entweder weil man mit den Figuren nicht warm wird, den Einstieg zu langweilig findet, oder man die vielen Tempo- und Richtungswechsel zu verwirrend findet. Mich hat aber genau das am Buch fasziniert, also echt verrückt, wie man das so unterschiedlich empfindet.
Liebe Grüße
Sophia