Stört es dich, wenn ein Buch einen unsympathischen Protagonisten hat, oder macht dir das gar nichts aus?
Für mich als sehr figurenorientierte Leserin sind die Hauptcharaktere ein ganz wesentlicher Punkt mit dem eine Geschichte steht oder fällt. Wie gelungen ich eine Figur finde ist jedoch nicht in erster Linie auf Sympathie zurückzuführen. Mein Hauptkriterium zum Bewerten von Hauptfiguren ist viel mehr Glaubwürdigkeit. Figuren ermöglichen durch ihre Perspektive, ihr Erleben und ihr Handeln erstmals den Einblick in eine andere Welt und müssen deshalb unbedingt authentisch sein. Ein Protagonist wäre für mich einzig und allein misslungen, wenn er für mich nicht wie eine Person wirkt, die auch in der Realität anzutreffen wäre – das kann sein, dass er zu perfekt dargestellt ist, keine Emotionen in einem selbst weckt, ständig widersprüchliche Dinge tut oder überzogene Gedanken hegt. Dabei ist es egal, ob diese Person in einem Fantasy-Szenario spielt oder nicht – um einen Charakter verstehen und fühlen zu können, muss er an einen realen Menschen und seine Eigenschaften angelehnt sind.
Inwiefern meine persönlich empfundene Sympathie für die Hauptfigur eine Rolle spielt hängt für mich vor allem von einem ab: der Intention des Autors oder der Autorin. Nervt mich der Protagonist in einer sehr figurenzentrierten Geschichte, in der die Erzählinstanz eigentlich als Identifikationsfigur dienen sollte, schaffe ich oftmals nur maximal 100 Seiten, bevor ich vor lauter Augenrollen die Seiten nicht mehr erkennen kann. Ich bin wie gesagt eine sehr figurenorientierte Leserin und finde es wahnsinnig störend, wenn Charaktere oberflächlich, eindimensional und klischeebehaftet sind, oder laufend problematisches Verhalten an den Tag legen, ohne dass dies mit einem dramaturgischen Grund begründbar wäre oder eine Funktion für die Handlung hätte. Wenn ich also keine Erklärung für die in meinen Augen miese Charakterdarstellung sehe, gehe ich davon aus, dass diese einfach schlecht gemacht ist. In diesem Fall würde mich ein unsympathischer Protagonist davon abhalten, der Geschichte wirklich folgen zu können. Gut sehen kann man das zum Beispiel an Pitt aus "Das Kowalski-Protokoll - Todesfeature" oder Jess aus "Götterfunke - Liebe mich nicht", welche mich beide zu Tode genervt haben, was sich im Endeffekt auch in der schlechten Bewertung des Buches direkt widerspiegelt.
Anders sieht das dann aus, wenn der Autor/die Autorin absichtlich eine ambivalente Figur zum Zentrum der Geschichte gemacht hat. Wenn es gar nicht das Ziel war, die Sympathie der LeserInnen zu erringen, sondern vielmehr einen Protagonisten in vielschichtiger Komplexität darzustellen, Abgründe auszuloten oder mit Nähe oder Distanz zu spielen, können Hauptfiguren von mir aus mörderische Psychopathen sein und ich würde die Geschichte weiter mit Spannung verfolgen. Gerade in den Genres Thriller, Krimi oder Horror trifft man häufig Protagonisten an, für die die Beschreibung "unsympathisch" ein himmelschreiender Euphemismus wäre. Egal wie unsympathisch eine Figur jedoch ist, glaubwürdig und in gewisser Weise nachvollziehbar muss sie trotzdem sein. Wenn dies der Fall ist kann man auch Figuren wie Coriolanus Snow aus "Panem X" oder Jean-Baptiste Grenouille aus "Das Parfum" toll finden. Egal ob die Figuren klare Antagonisten oder doch eher im moralischen Graubereich angesiedelt sind - solange diese mit ihren Eigenschaften einen Zweck erfüllen wie beispielsweise eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren, die Leser auf Abstand zu halten oder ihnen einen Konflikt vorzuhalten finde ich es also durchaus spannend von unsympathischen Figuren zu lesen.
Wie ist das bei Euch?
Liebe GrüßeSophia
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