Allgemeines
Titel: Alles Okay
Autor: Nina LaCour
Verlag:
dtv (24. April 2021)
Genre: Coming-of-Age-Drama
ISBN-10: 3446264353
ISBN-13: 978-3446264359
ASIN:
B07RHX39TF
Seitenzahl: 208 Seiten
Originaltitel: We
are okay
Weitere Bände: xxx
Preis: 9,99€
(Kindle-Edition)
16€ (Gebundene Ausgabe)
9,95€ (Taschenbuch)
Link:
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Inhalt
“Ich sehe mich im Spiegel an. Übe mein Lächeln für Mabels Ankunft. Ein Lächeln, das sowohl Wiedersehensfreude als auch Zerknirschung ausdrückt. Ein Lächeln voller Bedeutung, das alles sagt, was zu sagen ist, damit ich es nicht sagen muss.“
Marin hat alles hinter sich zurückgelassen, ist Tausende Kilometer geflohen
vor ihrem alten Leben, vor dem Verlust ihres geliebten Großvaters. Doch eines
Tages steht plötzlich ihre beste Freundin Mabel vor der Tür. Und mit ihr all
die Erinnerungen an zu Hause, an Sommernächte am Strand. Mit ihrer
Beharrlichkeit gelingt es Mabel, Marin aus ihrem Kokon der Einsamkeit zu
befreien. Und Marin begreift, dass sie eine Wahl hat: weiter im Verdrängen zu
verharren oder zu ihren Freunden und ins Leben zurückzukehren.
Bewertung
"Alles okay" ist einer dieser Romane, die zwar etwas mit einem
anstellen, bei denen man aber dennoch nicht so recht weiß, was man von ihnen
halten soll. Nina LaCour hat hier eine unbestreitbar einfühlsame und
berührende Geschichte über Familie, Einsamkeit, Liebe und
Orientierungslosigkeit geschrieben, die jedoch nicht ihr volles Potential
ausschöpft.
„Das Problem beim Verdrängen ist, wenn die Wahrheit hochkommt, bist du nicht darauf vorbereitet.“
Das Cover passt unfassbar gut. Ein Mädchen zwischen irgendwo Meer und
Wohnheimzimmer, vor der Welt versteckt, aber in die Ferne blickend, einsam
träumend, still hoffend - der Verlag hat hier in Anlehnung an die
Originalgestaltung den Nagel auf den Kopf getroffen und es geschafft, die
Atmosphäre der Geschichte bildhaft und wunderschön darzustellen. Sehr schön
sind auch die durch eine geschwungene Linie langgezogenen Kapitelanfänge,
die die dreißig kurzen Kapitel miteinander verbinden. Das Triple der
Gestaltungsperfektion wird dann durch den wunderbar passenden Titel
komplettiert, der ebenfalls wie das Design glücklicherweise sehr nah am
Original "We are okay" gehalten ist und perfekt zum Inhalt passt.
Denn im Endeffekt geht es um eine junge Frau, die weit davon entfernt ist,
"okay" zu sein, sich dies jedoch erst eingestehen und nach außen bewältigen
muss.
Erster Satz: "Bevor Hannah ging, fragte sie noch einmal, ob wirklich alles okay
sei."
"Alles okay" startet sehr zurückhaltend in das Leben von Marin, die
über die Weihnachtszeit alleine im Studentenwohnheim verbleibt. Tütensuppen,
Tee und Einsamkeit-Essays - das bestimmt ihr Alltag, bis ihre beste Freundin
Mabel zu Besuch kommt, um zu versuchen, sie aus ihrer Lethargie zu reißen
und herauszufinden, warum sie vor vier Monaten einfach abgehauen ist - mit
nichts als ihrem Portemonnaie, ihrem Handy und einem Foto ihrer Mutter...
Paradox ist am Einstieg in die Geschichte, dass die melancholische,
unaufgeregte Stimmung sich sofort einstellt - nach wenigen Sätzen hat einen
die bittersüße Stille und hallende Leere zwischen den Worten verschlungen -,
die richtigen Gefühle der Protagonisten aber erst viel später
auftauchen. Zwar fühlt sich Marin schon von Beginn an einsam und niedergeschlagen, hat
ihre Gefühle jedoch sorgsam im Griff. Der Einstieg liest sich demnach so, als
wäre eine dünne Membran zwischen einem selbst und all den verborgenen
Emotionen und Gedanken, die in Marin unter der Oberfläche
schwelen.
"Ich hatte die Traurigkeit verdrängt. Fand sie in Büchern. Weinte über Romane statt die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit war schnörkellos, bodenlos. Sie hatte keine poetische Sprache, keine gelben Schmetterlinge, keine epischen Regenfälle. In Wirklichkeit gab es keine Stadt unter Wasser, keine Generationen von Männern mit dem gleichen Namen, die dazu verdammt waren, immer die gleichen Fehler zu wiederholen. Die Wirklichkeit war tief genug, um darin zu ertrinken."
Während durch immer wieder auftauchende Rückblenden aus den letzten Jahren und Monaten langsam klar wird, was am Ende des Sommers passiert ist, wartet man auf den Moment, in dem der Schleier zerreißt und man zusammen mit Marin die ganzen Emotionen spürt, die sie tief in sich vergraben hat. Durch die vielen kleinen Puzzleteile, die durch die einzelnen Erinnerungsfetzen zusammengesetzt werden, wird die Ausgangslage der Protagonistin erst nach und nach erklärt. Das hatte leider zur Folge, dass ich zu Beginn gar nicht wusste, was ich nun mit der Protagonistin, der Stimmung der Handlung anfangen sollte. Klar, in dem besonderen Aufbau, der sich langsam auf die Enthüllung zuspitzenden Emotionalität, liegt ein Teil des Reizes des Romans und die Geschichte ist auch nicht so lang, dass wirkliche Längen aufkommen, in denen man damit spielt, die Geschichte abzubrechen, dennoch konnte mich der Beginn dadurch einfach nicht so sehr erreichen und ich war eher eine distanzierte Beobachterin dessen.
"Ich hoffe, du kriegst keinen Ärger", sagte ich, aber wie könnten wir Ärger kriegen? Wir waren verzaubert. Wir waren Strandgeschöpfe. Wie hatten die Taschen voller Schätze und einander auf der Haut."
Auch zwischen den einzelnen Rückblenden geschieht nicht allzu viel - "Alles okay" ist eher leise und handlungsarm erzählt, mit einem klaren Fokus auf den
Gefühlen und Beziehungen der Figuren. Diese kamen jedoch leider über einen
Großteil der Geschichte nicht ganz bei mir an. Ich habe zwar mit den beiden
Mädchen mitgefühlt und mich gefragt, was damals denn geführt hat, dass sich
Marin und Mabel nun in dieser Situation befinden, große Emotionen fehlten aber
erstmal komplett. Um es mal mit Marins Worten auszudrücken: "Ich kann mir vorstellen, wie es wäre [...]. Nur spüren kann ich es
nicht."
"Früher waren es nur Geschichten. Aber jetzt sickern sie ins Leben und werden immer schrecklicher. (...) Früher habe ich bei einer Geschichte geweint und das Buch zugeklappt und dann war es vorbei. Jetzt hallt alles nach, sitzt fest wie ein Splitter und eitert."
Umso mehr gefühlt habe ich die melancholische Stimmung, die zwischen behaglich
und schmerzhaft, traurig auf die schöne Art und herzzerreißend tragisch
schwankt.
Alleine im Wohnheim, kurz vor Weihnachten, mitten in einem winterlichen
Schneesturm - das Szenario ist geradezu prädestiniert für Einsamkeit,
Verzweiflung und Traurigkeit, welche durch Nina LaCours poetische, ruhige
Schreibweise auch sehr eindringlich transportiert werden. Ganz toll ist
auch, dass die Autorin hier nicht nur zwei starke Frauenfiguren in den
Vordergrund rückt, sondern auch die Liebe zwischen zwei besten Freundinnen,
die langsam entdecken, dass sie auch mehr sein könnten, so unfassbar feinfühlig und lebensecht beschreibt, dass man keine Sekunde
verpassen möchte. Dabei gibt es viele Stellen, bei denen es tief in mir Klick
gemacht hat, leider jedoch auch einige Beschreibungen und Zustände, die nicht
bei mir ankamen. Denn gleichzeitig gehen durch den Fokus auf Mabel und Marin
potentiell spannende Nebenfiguren stark unter.
"Sie schließt die Augen. Ich sehe sie an. Ich wünsche ihr von Herzen alles Gute. Einen freundlichen Taxifahrer und kurze Warteschlange. Einen Flug ohne Turbulenzen mit einem freien Platz neben ihr. Wunderschöne Weihnachten. Ich wünsche ihr mehr Glück, als in einen Menschen passt. Ich wünsche ihr so viel Glück, dass es überläuft."
Der genaue Zeitpunkt, an dem der oben genannte Gefühlsschleier dann endlich
zerriss, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr festmachen. Sicher ist nur,
dass mich das Ende so unfassbar berührt hat, dass mir die letzten 20 Seiten
über fast permanent Tränen über die Wangen gelaufen sind. Alles, was zuvor nur
entfernt zu erahnen war, bricht plötzlich über Marin und somit auch die
LeserInnen herein und zerstört die gewahrte Distanz komplett. Doch kann das
emotionale Ende über den eher ziellosen Start hinwegtäuschen? Was soll ich
also nur von der Geschichte halten? Ist die inhaltliche Auflösung gegen Ende
unter all den Emotionen nicht ein bisschen schwach (sowohl das Familiendrama,
als auch die Lösung an sich scheinen recht konstruiert, wenn man mit Abstand
zurückblickt) für den ansonsten so nachdenklichen Roman? Sind die beiden
starken Frauenfiguren und die Liebe zwischen zwei Mädchen, die von Freundinnen
zu mehr werden genug, um das fast vollständige Fehlen von starken Nebenfiguren
auszugleichen? Und über allem steht die Frage, was mir die Autorin mit dieser
Geschichte sagen wollte. Ja, ich habe gefühlt, aber begriffen nicht wirklich.
Deshalb gibt es von mir für diese ambivalente, wunderschöne Geschichte nur 4
statt 5 Sterne.
"Ratlosigkeit ist ein dunkler Ort. Ein Ort, den man schlecht ertragen kann. Aber ich schätze, wir verbringen den größten Teil unseres Lebens dort. Und ich schätze, wir sind alle dort, deshalb muss es vielleicht gar nicht so einsam sein. Vielleicht kann ich mich einleben, es mir gemütlich machen, mich an die Ungewissheit gewöhnen."
Fazit
"Alles okay" ist eine einfühlsame und berührende Geschichte
über Familie, Einsamkeit, Liebe und Orientierungslosigkeit, die jedoch
wie der Roman selbst voll Höhen und Tiefen ist. Das Ende ist
wahnsinnig ergreifend, die inhaltliche Auflösung jedoch eher schwach.
Die Atmosphäre, die durch die Seiten sickert, ist so erdrückend,
schwermütig und bittersüß, dass man gar nicht weiß, wohin mit sich.
Dagegen bleiben die Emotionen der Hauptfigur bis kurz vor dem Ende
eher unnahbar. Nina LaCours Erstling ist also ein Herzensbuch, auch
wenn ich keine 5 Sterne geben kann.
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Vielen Dank an den Verlag dtv für das Rezensionsexemplar, was meine ehrliche Meinung jedoch nicht beeinflusst
hat.
Quelle Informationen: Amazon.de. Klapptexte und Zitate sind Eigentum des
Verlags oder jeweiligen Rechtinhabers.
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