
Allgemeines
Titel: Dry
Autor: Neal und Jarrod Shusterman
Verlag: Fischer Verlag (22. Mai 2019)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3737356386
ISBN-13: 978-3737356381
ASIN:
B07JMY5LPS
Seitenzahl: 448 Seiten
Originaltitel:
Dry
Preis: 4,99€ (Kindle-Edition)
15€ (broschiert)
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Inhalt
Bewertung
Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit seinem Sohn eines weitaus realistischeren und in näherer Zukunft liegenden Themas an: dem Klimawandel und dessen verheerenden Folgen. Verarbeitet zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch machen er und sein Sohn Jarrod darauf aufmerksam, was in schon naher Zukunft passieren könnte und wie dünn das Rinnsal ist, dass uns von einer humanitären Katastrophe trennt...
Passend zum Thema ist die Geschichte all denjenigen gewidmet, die "sich anstrengen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels rückgängig zu
machen." Wie der knappe und sehr passende Titel schon verrät, rückt hier die
anhaltende Dürre in Südkalifornien in den Mittelpunkt, in der die elementarste
Ressource überhaupt knapp wird: Wasser. Passend dazu ist auf dem Cover vor
einem krisseligen, dunklen Farbverlauf ein Streichholz zu sehen, welches statt
einer Flamme einen Wasserspritzer enthält. Innerhalb der Buchdeckel finden
sich neben 56 Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven und sechs große
Gesamtabschnitte mehrere "Snapshots". Letztere werden regelmäßig
eingebunden, um ein vollständigeres Bild der Krise zu erhalten und auch auf
die gesamtgesellschaftlichen Folgen der Wasserknappheit und des Tap Outs
einzugehen.
Alyssa: "Für eine Wasserkrise gibt es keine Radarbilder. Keine Sturmfluten, keine Trümmerfelder. Der Tap-Out ist so lautlos wie Krebs."
Im Gegensatz zu anderen Apokalypse-Geschichten wie zum Beispiel "Black-Out" oder "Der Schwarm", die eher auf ein breites Bild abziehen, dabei aber die emotionale Bindung
etwas aus den Augen verlieren, konzentriert sich "Dry" bis auf die
wenigen Snapshot-Ausflüge auf eine einzige Gruppe Jugendlicher und deren Weg
durch die Krise, was einen noch intensiveren Bezug des Lesers zur Handlung
schafft. Dabei nutzen die beiden Autoren vier Ich-Perspektiven: Alyssa,
Kelton, Jacqui und Henry, die nach und nach mit zunehmender Eskalation
auftreten. Trotz dass "Dry" relativ langsam startet, hat mich die
rasant erzählte Geschichte über das Schicksal von fünf Jugendlichen, die
unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Kampf ums Überlegen vereint
sind, von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Von der ersten Seite an
liegt eine dunkle Vorahnung in der Luft, während wir zunächst zusammen mit der
16jährigen Alyssa bemerken, dass aus dem Wasserhahn kein Wasser mehr kommt.
Zwar ist die Situation zuerst eine recht alltägliche, als aufmerksamer Leser
ahnt man jedoch, dass der Weg zur humanitären Katastrophe nicht weit ist. Denn
mitten im kalifornischen Hochsommer kein Wasser mehr zu haben, entpuppt sich
als großer Albtraum und die aller wenigsten sind darauf vorbereitet. Für
Alyssa, ihre Eltern und ihren kleinen Bruder Garrett bedeutet das: so schnell
wie möglich an Wasser gelangen - doch das wollen leider alle...
Alyssa: "Irgendwas fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es hängt in der Luft wie ein Geruch. Es ist die Ungeduld der Menschen vor den Kassen. Fast wie mit einem Rammbock bahnen sich die Leute mit ihren Einkaufswagen einen Weg durch die Schlangen. Es herrscht eine Art primitive Ur-Feindlichkeit, nur verdeckt von einer dünnen Schicht aus vorstädtischer Höflichkeit, die langsam fadenscheinig wird."
Alyssas Nachbar Kelton - unser zweiter Erzähler - und dessen Familie
haben es besser, denn als Hobby-Prepper sind die McCrackens seit Jahren auf
jede Form der Apokalypse vorbereitet. Doch dass ein Notfallaggregat, ein
Wassertank hinter dem Haus und angelegte Vorräte Neider anlockt und
verzweifelte Menschen vor fast nichts zurückschrecken, wird auch ihnen zum
Verhängnis. So sitzen Kelton, Alyssa und Garrett schnell in einem Boot und
versuchen, die Ausuferungen des Chaos´ um sie herum zu umgehen. Geplünderte
Supermärkte, gescheiterte Nachbarschaftshilfen und umherirrende
"Wasserzombies" sind die ersten Vorzeichen. Nach mehreren Tagen spitzt
sich die Lage doch zusehends zu und es geht für unsere Protagonisten ums
nackte Überleben. "Dry" wird von Seite zu Seite ernster und enthält
auch einige sehr heftige Szenen, bei denen mir der Atem stockte. So klebte ich
beinahe an den Seiten, während ich mit unseren Protagonisten durch verlassene
Straßen, von Unterschlupf zu Unterschlupf reiste, sie durch Wälder, über
verstopfte Autobahnen und durch ausgetrocknete Kanäle begleitete, immer auf
der Suche nach dem nächsten Schluck Wasser...
Kelton: "Es passiert alles genauso, wie es in den Survival-Büchern steht. Aber das tröstet mich nicht. Nicht im Geringsten. Weltuntergangsszenarien machen nur Spaß, solange der Weltuntergang theoretisch ist. Jetzt wünschte ich, sie hätten sich alle geirrt."
Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der
wahre Kern. Man würde die Geschehnisse gerne der blühenden Fantasie von Neal
und Jarrod Shusterman zuschreiben, doch was alles so erschüttern macht, ist
dass ich mir mir ohne Probleme vorstellen könnte, von genau dieser Krise im
Sommer in den Nachrichten zu sehen. Erschreckend realistisch wird das Buch
auch dadurch, dass die Shustermans sehr gut recherchiert haben. Von
Katastrophenpläne über die typischen Abläufe einer Krise bis zum Zusammenbruch
der gesellschaftlichen Strukturen und einem anarchischen Zustand - die beiden
Autoren erzählen hier einen Ablauf, der genau so passieren könnte, untermauert
mit mir bekannten Theorien der Psychologie.
Alyssa: "Es ist so ruhig", sage ich. "Da kann man fast vergessen, was da draußen los ist." "Dort ist nichts, nur Menschen", erklärt Henry. "Menschen können Monster sein. Egal ob wegen ihrer Handlungen oder ihres wahren Wesens, das tut nichts zur Sache. Das Ergebnis ist dasselbe." Henry zuckt mit den Schultern, als würde ihn das nicht stören. Ich frage mich, ob er tatsächlich so unbekümmert ist oder ob er mir zuliebe so tut. "Manchmal muss man ein Monster sein, um zu überleben", sagt er."
Neben der Spannung, die aus dem ständigen Kampf ums Nackte Überleben
resultiert, machen in "Dry" genau wie in Neal Shustermans "Vollendet"-Reihe zwischenmenschliche Konflikte, Beobachtungen, Manipulationen und
Machtkämpfe - also kurz: die Gruppendynamik zwischen den Jugendlichen -
ebenfalls einen Teil der Spannung aus. Bei einigen Zwischenstopps erhalten
wir zwei zusätzliche Mitglieder des durch das Schicksal zusammengeschweißten
Überlebensteams, die ebenfalls aus ihrer Geschichte erzählen dürfen. Die
19jährige Jacqui bringt dabei zwar eine Menge Straßenerfahrung und ihre
Fahrkünste mit ins Team, erschwert den Umgang in der Gruppe jedoch dadurch,
dass sie ein laufendes Pulverfass ist. Richtig ins Rollen kommt der Strudel
aus Misstrauen, Achtsamkeit und Verrat innerhalb der Gruppe aber erst, als
der berechnende Henry aus gutem Hause dazu stößt, der in der Krise vor allem
eins sieht: eine Möglichkeit Profit zu schlagen...
Henry: "Das Geheimnis der erfolgreichen Zusammenarbeit in einer Gruppe ist ein dynamischer, ansprechbarer Anführer. Und der Schlüssel, ein guter Anführer zu sein, ist genaue Beobachtung und subtile Manipulation - so subtil, dass niemand merkt, dass er manipuliert wird. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Regierung."
Die Mitfühlende, das Nesthäkchen, der Nerd, die Draufgängerin und der Snob
- die fünf Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch
verbindet sie eines: sie werden vom Autorenduo Shusterman mit wenigen Worten
als starke Teenager charakterisiert, die vor allem eines sind,
Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln,
trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an einigen Stellen hart
und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe
Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie
angesiedelt und dieses hat mich zu ausschweifenden Grübeleien verholfen.
Allein an der Anzahl der Flaschen Wasser, die ich beim Lesen getrunken habe,
merkt man vermutlich, wie nah mir die Geschehnisse gingen. Darüberhinaus
ließ mich der Gedanke einfach nicht los, wie schlecht ich selbst auf eine
derartige Krise vorbereitet wäre und ich konnte nicht aufhören mich zu
fragen, wie weit ich bereit wäre für mein eigenes Überleben zu gehen...
Alyssa: “Entweder man öffnet die Türen weit oder man schließt sie ab”, sage ich wehmütig. “Die Menschen sind zu kompliziert, um auf irgendetwas dazwischen zu vertrauen.”
Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor
allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Es ist so
unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die fünf sich zusammen
durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. Auch die Entwicklung der
Figuren folgt einer psychologischen Theorie: ganz nach dem Motto "In drei Tagen vom Mensch zum Tier"
offenbart die Katastrophe in jedem der Figuren neue Abgründe... Man merkt
jedoch nicht nur an den jugendlichen Figuren, dass es sich hier um ein
Jugendbuch handelt. Zwar wird hier nichts beschönigt, dennoch hätte man noch
zu extremeren Mitteln greifen und wirkliches Elend zeigen können. So werden
zwar ab und zu von Todesopfern berichtet, Leichensäcke genannt oder
Totkranken wird der Tod prophezeit, die Menschen verdursten und sterben aber
im Off und belasten die jugendlichen LeserInnen nicht zusätzlich. Da die
Lage dank des meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns
einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder
blutig zu sein, schwer genug zu ertragen ist, würde ich das Buch aber erst
ab 14 bis 16 Jahren empfehlen.
Kelton: "Wenn es ums Überleben geht, gibt es keine Preise für zweite und dritte Plätze, sondern nur Gold oder Grab. Und ich glaube, den anderen ist nicht klar, wie nah wir am Verlieren sind."
Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Beenden möchte ich meine Rezension mit einem schönen Gedanken....
Alyssa: "Mir wird klar, dass dies der wahre Kern des menschlichen Wesens ist: Auch wenn wir die Energie verloren haben, uns selbst zu retten, finden wir noch irgendwie die Kraft, uns gegenseitig zu helfen."
Fazit

Hallo Sophia,
AntwortenLöschenauf mich hat Buch ein wenig anders gewirkt. Gut geschrieben, keine Frage, zeigte es ein in meinen Augen eher unrealistisches Szenario. Vor allem, wenn Du ansprichst, dass die Realität die Geschichte eingeholt hat, so zeigte sie sich doch deutlich anders. Die betroffenen Menschen agierten eher solidarisch und haben sich gegenseitig soweit es nur ging geholfen.
Viele Grüße
Frank
Lieber Frank,
Löschendie solidarische Hilfe finde ich natürlich schön und gut, das Duo Shusterman hat hier aber einen Thriller geschrieben, der fünf Schicksale aus dem großen Ganzen rauspickt und vor allem spannend sein soll. Klar müsste so eine Krise zusammen bewältigt werden und es gäbe bestimmt auch Orte, an denen es besser läuft, diese Geschichte erzählen die beiden Autoren aber nun mal nicht. Klar, man hätte hier eine Utopie draus machen können, aber was wäre daran der Witz?
Was das katastrophale Management der Krise angeht... das halte ich für gar nicht so weit hergeholt. Im Endeffekt haben Organisationen und Regierung die Krise ja bewältigt bekommen, nur eben erst nach eineinhalb Wochen, wo die Hilfe für viele Menschen schon zu spät kam. Gerade unter dem Vorbehalt, dass die USA durch einen Hurrican, also eine weitere Naturkatastrophe zu diesem Zeitpunkt der Handlung auf Trab gehalten wurden und vieles vertuscht wurde, halte ich die Vorgänge leider für sehr realistisch. Klar, die Region müsste es eigentlich besser wissen, da Wasserknappheit, Trockenheit und Brände keine neuen Themen sind, aber das ist ja auch genau das, was die beiden Autoren mit diesem Buch sagen wollten: dass man eine solche Krise nicht mit Larifari-Methoden angehen kann und es schlimm enden kann, wenn man so lange wegschaut.
Liebe Grüße
Sophia
Hallo Sophia,
LöschenBücher und die darin gezeigten Suenarien wirken auf jeden Menschen anders. Und wenn Dir als Leser ein Szenario nicht glaubwürdig rüberkommt, dann gehört das wohl in die Kategorie "ist halt so" und muss ja nicht bedeuten, dass die Autoren ein anderes Buch hätten schreiben sollen. Und wie so oft gehört natürlich auch immer eine Erwartungshaltung mit dazu.
Dass die Menschheit jetzt handeln muss, steht dabei außer Frage und ich habe mein Review entsprechend mit Zusatzinfos gespikt - wie ich recht häufig bei den Bücher über den Klimawandel entsprechende Hinweise gebe. So oder so ist das THema wichtig und wird natürlich auch durch solche Romane präsent gemacht.
Viele Grüße
Frank
Hey Frank,
Löschenda hast du recht, das empfindet ja jeder Leser anders. Ich wollte mit meiner Ausführung auch gar nicht andeuten, dass du die Geschichte irgendwie falsch verstanden hättest, sondern nur, warum meine persönliche Einschätzung eine andere ist.
Deine zusätzlichen Fakten fand ich übrigens sehr interessant beim Lesen deiner Rezension. Ich finde es eine richtig gute Idee, ein Format wie eine Rezension dafür zu nutzen, Anknüpfungspunkte des Buches aufzugreifen und ein bisschen aufzuklären. Stark!
Liebe Grüße
Sophia
Hi Sophia!
AntwortenLöschenDa hast du ja wieder einiges dazu geschrieben *lach* Eine tolle Rezension und ich fand das Buch auch wirklich sehr spannend! Das Thema ist definitiv wichtig und löst beim Lesen schon etwas unbehagen aus, muss ich sagen.
Wie das ganze in der Realität abläuft oder ablaufen würde, kann man vorher wohl nie sagen, nur hoffen ... bzw. hoffen dass das nie passier.
Liebste Grüße, Aleshanee
Liebe Aleshanee,
LöschenTja, was soll ich sagen... Bei Büchern, die mich begeistert haben, geht es einfach mit mir durch 😅.
Danke dir! Klar, man kann nie sagen, wie so etwas tatsächlich ablaufen würde, hier haben die Autoren denke ich absichtlich ein Worst Case Szenario genommen, um ihrer Aussage die größtmögliche Schlagkraft zu verleihen: wenn man nicht will, dass so etwas (und andere Katastrophen auf der ganzen Welt) passiert, hilft nicht nur hoffen, dann muss man was TUN und zwar JETZT!
Liebe Grüße
Sophia
Ich fand das Buch auch klasse, man muss es ja auch ein bisschen unter dem Aspekt "Jugendbuch" sehen und natürlich nehmen sie eine "worst case" Situation, um die Spannung zu pushen. Ich finde auch, das ist ihnen super gelungen - auch die verschiedenen Verhaltensweisen haben sie gut rübergebracht.
LöschenIch hoffe ja, es gibt bald was neues von Shusterman :)
Ja, das sehe ich genauso! Ich finde man merkt den Romanen von Neal Shusterman immer stark an, dass er Psychologie studiert und somit einen anderen Blick auf die Menschen hat. Das ist für mich als Psychologiestudentin auch immer total spannend nachzuvollziehen, wo er auf Theorien zurückgreift, um Vorgänge und Verhaltensweisen zu erklären oder Figuren zu untermauern.
LöschenJaaa, über ein neues Projekt von ihm würde ich mich auch riesig freuen! Da habe ich jetzt aber bislang noch nichts gehört...