Donnerstag, 1. März 2018

Engel im Polarlicht

 
Allgemeines:
 
Titel: Engel im Polarlicht
Autor: Dennis Kohlmann
Verlag: Angelwing Verlag (12. März 2018)
Genre: Young Adult
ISBN-10: 3962610308
ISBN-13: 978-3962610302
ASIN: B079WKPNGH
Seitenzahl: 211 Seiten
Preis: 10,99€ (Taschenbuch)
3,49€ (Kindle-Edition)
 
 
Inhalt:
 
Mit dem Zug nach Nordschweden, zu Schlittenhunden und Polarlichtern, das war ihr gemeinsamer Traum, doch nun ist alles anders. Nachdem Merles Vater an einem Herzinfarkt starb, ist für die junge Studentin nichts mehr, wie es war. Trotzdem will sie die lang gehegten Pläne nicht verwerfen und macht sich mit der Urne ihres Vaters auf den Weg in den Norden. Auf ihrer Zugreise trifft sie auf Virgil, einen Mann, der behauptet, ein gefallener Engel zu sein. Ihn treibt ein verbitterter Wunsch in dieselbe Richtung: Er möchte endlich sterben, und das geht, so behauptet er, nur im nächtlichen Schimmer der Nordlichter.
 
 
Bewertung:
   
Nachdem mich Dennis Kohlmann schon mit seiner unglaublich berührenden Geschichte "Libellenfrühling" über die Wichtigkeit von Fantasy und Mut, welches eher an ein etwas jüngeres Publikum adressiert ist, begeistert konnte, stand für mich sofort fest, dass ich auch diese Erzählung aus dem Genre Young Adult gerne lesen will. Wer den Klapptext oben gelesen hat wird sich bestimmt wundern, wie Engel in ein Young Adult Jugendbuch passen und ob "Fantasy" nicht die bessere Genrebezeichnung gewesen wäre. Der Fantasy-Gehalt dieser Geschichte ist jedoch verschwindend gering und im Grunde geht es vor allem um eine junge Frau, die ihre Trauer über den Verlust ihres Vaters auf einer Reise durch Dänemark, Schweden bis ganz in den Norden nach Lappland bewältigt. Leider reicht es nicht ganz an "Libellenfrühling" heran, da dieser durch einen noch eindrücklicheren Protagonisten und jede Menge Gänsehaut-Sätzen die Messlatte schon sehr hoch gelegt hat, dieser Roman hat mich aber dennoch sehr bewegt und ergriffen zurückgelassen!

 "Über mir leuchtete der eindringliche Abendhimmel Stockholms, die Sterne schimmerten hell, während mir der Wind um die Ohren fegte und mir mit seinen eisigen Fingern übers Kinn strich. (...) "Na dann", hauchte ich in die Stille hinein. (...) Direkt vor mir spiegelte sich der Mond in der Schwärze. "Dort sollst du ruhen, Papa, im Herzen des Mondes"

Das Cover ist mal wieder ein reiner Augenschmaus. Vom dunkelblauem Grund, der mit vielen leuchtenden Sternen durchzogen ist und so echt wie ein Nachthimmel wirkt, dass man am liebsten nach den Sternen greifen möchte, heben sich ein paar mächtige Flügel ab, welche in den pastelligen Farben der Polarlichter leuchten. Die Schwingen gehören einem zusammengekauerten Mann, von dem man nur einen groben Umriss sieht und welcher durch seine Körperhaltung sehr resigniert aussieht. Im Zentrum all dessen schwebt der Titel, welcher meiner Meinung nach ein wenig zu viel Weichzeichner abbekommen hat, sonst aber super ins Bild passt. Das Cover nimmt den Leser mit seiner funkelnden, geheimnisvollen Ausstrahlung sofort in den Bann und passt von den Motiven her perfekt zum Inhalt, denn sowohl die Polarlichter als auch der Engel spielen eine größere Rolle in der Geschichte. Auch der Titel weckt gleich das Interesse und passt gut, auch wenn er vielleicht in eine fantastischere Richtung lenkt. Insgesamt aber dennoch eine wunderschöne, magische Gestaltung.

Erster Satz: "Er saß einfach nur da und sah aus dem Fenster während Städte, Wälder und Wiesen an uns vorbeirauschten."

Merle Winkelstein ist verwirrt von dem sonderbaren Fremden, der ihr während der Zugfahrt nach Kopenhagen barfüßig gegenübersitzt und kein Wort zu sprechen scheint. Als er dann schließlich das Schweigen bricht und behauptet ein Engel zu sein, ist sie schon kurz davor, ihn in die "religiöser-Fanatiker-Schublade" zu stecken, als er erklärt, ihren Vater gekannt zu haben. Während sie noch überlegt, ob sie ihm glauben soll oder nicht, wird er ihr unfreiwilliger Reisebegleiter, der in allen möglichen Situationen auftaucht, für eine Menge Schmerz, Kaffeepausen und am Ende Merles Trauerbewältigung sorgt...

"Was soll ich Ihnen denn glauben? Virgil, ich bitte Sie." Meine Stimme zitterte, ich wollte heulen, doch keine Träne schaffte es aus meinen Augen. "Wer ich bin", sagte er und seine Stimme beruhigte sich, wurde ganz weich und warm. "Was ich bin."

Die Handlung steigt gleich mitten in Merles Reise nach Lappland ein und wir lernen die starke junge Studentin kennen, die die lange Reise alleine durchzieht, um den gemeinsamen Vater-Tochter-Traum von einer Schweden-Reise zu erfüllen und ihren geliebten Vater in den eisigen Weiten des Landes eine letzte Ruhestätte zu geben. Grundsätzlich passiert während der 211 Seiten nicht besonders viel: wir erleben mit, wie Merle neue Leute kennenlernt, Stück für Stück von ihrem Vater Abschied nimmt und sich in den Bergsteiger Nils verliebt. Eine ordentlich Portion Herzschmerz, ein wenig Krankheit, ein wenig Umfall, ein wenig Abenteuer und vor allem die wunderbare Atmosphäre machen es aber unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen, bevor man es zu Ende gelesen hat. Wie sich Merle durch alle Tiefs durchkämpft und von ihrem Vater Abschied nimmt, ist sehr berührend mit anzusehen. Es ist außerdem ganz wunderbar, wie Dennis Kohlmann immer wieder Erinnerungen an ihren Vater einflicht, welcher ein unwahrscheinliches Leben aus Glück und Pech gelebt hat, sodass wir ganz langsam eine Idee dafür bekommen, was für eine besondere Person er war.

"We drink for the dead", meinte er. Damit wir sie nicht vergessen. Denn das Einzige, das schlimmer sei als der Tod, so sagte er, sei das Vergessen. Dann war ich an der Reihe und auch wenn der Inhalt der Flasche nach Brillenputztuch stank, nahm ich einen großen Schluck und gedachte der Toten. Einen großen Schluck für Sofia und für Lasko. Doch vor allem trank ich für einen Menschen. Für Papa."

Die wunderschöne Darstellung Schwedens, die wohl vor allem durch die Tatsache, dass Dennis Kohlmann selbst in der traditionellen und bekannten Universitätsstadt Uppsala selbst, so lebendig gemacht wird, macht Lust selbst hin zu reisen! Auch wenn ich angesichts der zwanzigtägigen Polarnacht in Lappland wahrscheinlich Winterdepressionen bekommen würde, möchte ich schon seit einer Ewigkeit mal in den Norden reisen und mir die raue Schönheit Skandinaviens ansehen. Ein interessantes Plus ist auch, dass der Autor kurz auf die Problematik der Sámi eingeht, die Folgen der jahrelangen Unterdrückung des indigenes Volk im Norden Fennoskandinaviens aufzeigt und den jungen Eirik über die Plünderung seines Landes durch den Eisenerzabbau in Kiruna klagen lässt. Auch wenn es nur ein sehr kurzer Anschnitt ist, hat mir das sehr gefallen!

"Auf uns", sagte er und hielt seinen Becher zum Anstoßen hoch. (...) Und als ich meinen Becher ausgetrunken hatte und sich die letzten Tropfen in den Rillen auf dem Boden sammelten, ja genau in diesem Moment, verliebte ich mich in ihn..."

Interessant und bunt wird die Geschichte auch vor allem durch die Leute, die Merle auf ihrer Reise trifft: ein lebensfreudiges Italienerpaar, eine elegante Geschäftsfrau ohne jegliche Zeit, eine in die Jahre gekommene Veganerin, ein Sámi mit Wikingerbart, ein einsamer "Lappjävel", ein kaffeesüchtiger Engel und natürlich der Skandinavistik Student aus Bielefeld: Nils. Auch ohne die Tatsache, dass sie von einem Engel begleitet wird ist die Geschichte durch und durch magisch erzählt: voller Zufälle und kurzer Begegnungen, voll Melancholie und Zaghaftigkeit und einer Tragik, die ganz ohne konstruiertem Drama und übertriebenen Pathos auskommt.

"Papa sollte frei sein, denn wenn der Schnee erstmal geschmolzen war, würde ihn der Wind on die Unendlichkeit tragen. Auf, davon, in die Luft, die Erde und die Wurzeln der Bäume. (...) Wie schwarze Tinten malte die Asche ein wahlloses Muster in die weiße Leinwand. "Ruhe in Frieden, Papa. Jetzt ist deine Reise zu Ende."

Wo ich am Anfang noch dachte, Merle würde sich in Virgil verlieben und sein gebrochenes Herz heilen, wurde mir bald klar, dass der Autor hier einen viel subtileren Weg gewählt hat. Je weiter Merle reist, je mehr sie sich in Nils verliebt und je mehr sie von ihrem Vater loskommt, desto unrealer scheint der Schutzengel für die Handlung. Ganz besonders nahegegangen ist mir die schleichende Frage, ob Merle sich ihren Begleiter nicht einfach einbildet, um über ihren Verlust besser hinwegzukommen. Natürlich suggeriert die Handlung eine echte Person und er tritt auch in Anwesenheit anderer Leute auf. Gerade in Verbindung mit dem Buch "Grief is the thing with feathers" (deutsch: "Trauer ist das Ding mit Federn"), welches er Merle zu Weihnachten schenkt, wurde mir mit zunehmender Handlung klar, dass Virgil so etwas wie die Krähe in Max Porters Bestseller sein könnte: eine Art Metapher für Unterstützung um einen Verlust verarbeiten zu können.

"Über uns die Farben. Grün und Gelb und Rosa. Intensiv wirbelte das Licht am Horizont und zog dicke Streifen in die Nacht. Um uns herum verschwammen die Stämme der Bäume zu einer dunklen Masse, während ihre Kronen wie ein gigantisches Sägeblatt den Nachthimmel durchschnitten. (...) Der perfekte Ort, schau nur, Papa, schau dir den Himmel an, die Bäume und die Berge."

 Dennis Kohlmanns Schreibstil - ich kann mich da nur wiederholen - ist etwas ganz Besonderes, was wirklich bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass dies erst sein zweiter Roman ist. Er schreibt erfrischend, humorvoll, bildreich - schlicht aber träumerisch schildert er Situationen greifbar real und versteckt auch immer wieder ein wenig Ironie zwischen all der Trauer. Es wird eine magische, Großteils eher traurige Atmosphäre kreiert, durch die aber immer wieder Lichtblicke und schöne Erinnerungen durchscheinen, sodass die Grundstimmung leicht melancholisch aber dennoch positiv erscheint. Ein angenehmes Lesegefühl!
 
Das Ende kommt dann wieder relativ fix, lässt aber alle Handlungsstränge abgeschlossen zurück. Natürlich ist Trauer ein Langzeitprojekt und nicht einfach zu abzuschließen, man kann Merle und die anderen Protagonisten aber mit einem guten Gefühl sich selbst überlassen.


 
Fazit:

Die berührende Geschichte einer jungen Frau, die ihre Trauer um ihren Vater auf einer Reise durch Dänemark, Schweden bis ganz in den Norden nach Lappland bewältigt und durch etliche verschiedene Menschen wieder zurück ins Leben findet.

Durch und durch magisch erzählt: voller Zufälle und kurzer Begegnungen, Melancholie und Zaghaftigkeit und einer Tragik, die ganz ohne konstruiertem Drama und übertriebenen Pathos auskommt.


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*unbezahlte WERBUNG* 
Vielen Dank an den Autor für das Rezensionsexemplar, was meine ehrliche Meinung jedoch nicht beeinflusst hat. 
(Quelle- Information und Coverbild: Amazon.de. Die Bilder und Cover, sowie die Inhaltsbeschreibungen und Klappentexte sind Eigentum des jeweiligen Verlages bzw. Schriftstellers oder anderweitigen Rechteinhabers.)
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