Donnerstag, 5. April 2018

Serienempfehlung: Ku´damm

 
Anlässlich der Free-TV-Premieren von "Ku´damm 59" habe ich dem Rat meiner Mutter vertraut und mir die zwei Ministaffeln rund um die Familie auf dem Kurfürstendamm angesehen, der im Volksmund mit Ku´damm abgekürzt wird. Was ich anfangs für einen unterhaltsamen Gesellschaftsfilm gehalten habe, entwickelte sich schnell zu einem mitreißenden und schonungslos erzählten Historiendrama um die Rolle der Frau in den 1950er Jahren.
 
Darum geht´s:
 
Tanzschulbesitzerin Caterina Schöllack hat drei Töchter, von denen sie verlangt, dass sie sich in die hierarchisch geprägte Gesellschaft eingliedern. Zwei ihrer Töchter scheinen diesem Wunsch zu folgen: Helga hat eine scheinbar glänzende Partie gemacht und wird den Juristen Wolfgang von Boost heiraten. Krankenschwester Eva legt alles darauf an, von ihrem Chef Professor Fassbender geheiratet zu werden. Nur Monika, die mittlere Tochter, sträubt sich gegen den vorgezeichneten Weg und entdeckt zudem den Rock 'n' Roll für sich....
 
 
Deshalb solltest du dir die Serie unbedingt anschauen:
 
Nach der Idee und dem Drehbuch von Annette Hess inszenierte Sven Bohse ein Familiendrama in der Zeit zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder, der in der Kategorie Serien & Mehrteiler für den Grimme-Preis 2017 nominiert wurde. Zu Recht, wie ich finde. Denn diese kurze Serie, die wahrscheinlich/hoffentlich noch weitergeführt wird, lässt die damalige Zeit äußerst plastisch, realistisch und spannend lebendig werden.

 Schauplatz für den Konflikt zwischen prüder Moralvorstellung, der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung und der Entdeckung der Sexualität der jungen Frauen ist die familieneigene Tanzschule "Galant" am Kurfürstendamm. In verschiedenen Handlungssträngen verfolgen wir das Schicksal der drei Mädchen und der Mutter mit ihren Partnern.

Während die strenge, alleinerziehende Mutter Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) sich selbst mit dem Tanzlehrer Fritz Assmann (Uwe Ochsenknecht)vergnügt und auf ihren verschwundenen Mann wartet, erwartet sie von ihren Töchtern Monika, Eva und Helga, dass sie sich den gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen und sich mit dem biederen, festsitzenden Frauenbild abfinden. Jede der Schwestern leidet dabei auf ihre Art.


Obwohl Helga (Maria Ehrich), die Älteste der Schwester, scheinbar das große Los gezogen hat, indem sie den stattlichen Staatsanwalt Wolfgang von Boost (August Wittgenstein) geehelicht hat, ist ihr Glück nur von kurzer Dauer. Schon seit der Hochzeitsnacht ist ihr klar, dass ihr Gatte ein wenig anders tickt. Doch was sie für Verklemmtheit und fehlende Liebe gehalten hat, stellt sich bald als "krankhafte Störung" heraus, wie die Gesellschaft Homosexualität zu dieser Zeit noch sieht.

Die jüngste Schwester, Eva (Emilia Schüle), arbeitet als Krankenschwester in einer Nervenheilanstalt, die mit Elektroschocks auf ihre Patienten losgeht. Obwohl sie sich in den Mann einer Patientin verliebt und sich mit ihm zum ersten Mal richtig frei fühlt, drängt ihre Mutter sie in eine Ehe mit dem viel älteren Professor Fassbender (Heino Ferch). Als sie heiraten ist es aus mit ihrer Freiheit und sie muss sich die Frage stellen, ob sie sich mit diesem Leben wirklich abfinden will.
 
Der interessanteste und wichtigste Handlungsstrang betrifft jedoch das Nesthäkchen Monika (Sonja Gerhardt). Von der Hauswirtschaftsschule geflogen und unvorteilhaft gekleidet bedeutet sie nichts als Ärger für die strenge Caterina. Mit ihrem naiven Freigeist scheint sie einfach nicht in den vorgeschriebenen Weg zu passen, den ihre Mutter für sie gerne hätte und geht im Hause Schöllack langsam ein. Erst als sie durch den jungen Musiker Freddy Donath (Trystan Pütter), der mit seiner Zeit im KZ noch sehr zu kämpfen hat und sich mit Alkohol und Frauen tröstet, den Rock´n´Roll und ihre Liebe zum wilden Tanz entdeckt, wird in ihr wieder ein wenig Leben geweckt und sie beginnt eine Zukunft für sich zu sehen. Langsam erkämpft sie sich immer mehr Freiheiten bei ihrer Mutter und feiert schon bald als Musikerin und Tänzerin Erfolge. Im Privatleben scheint aber immer noch nicht alles rund zu laufen.
Ein uneheliches Kind durch eine Affaire mit ihrem verantwortungslosen besten Freund, eine Vergewaltigung, die ihr niemand zu glauben scheint, ihre wachsende Liebe zum Industriellen Joachim Franck, die aber irgendwie nie klappen will, ihr Tanz, der die Leute misstrauisch macht - all das macht sie in den Augen der Gesellschaft zu einer Katastrophe, zeigt uns aber, was sie wirklich ist: ein charakterstarkes Mädchen, geboren in der falschen Zeit!

Besonders gut gefallen hat mir Monikas Beziehung zu Joachim Franck (Sabin Tambrea), der anfänglich als brutaler Despot erscheint, der sich nicht darum schert, was andere wollen und sich nimmt, nach was es ihn gelüstet. So kommt es in einem Rausch auf der Hochzeit Helgas zu einer Vergewaltigung der jungen Monika, die er zuerst als unattraktiven Trampel wahrnimmt. Auch wenn es etwas fragwürdig ist, ob man sich in jemanden verlieben kann, der einen vergewaltigt hat, entwickelt sich langsam etwas mehr zwischen den beiden, während Caterina Monika dazu zwingt, mit Joachim auszugehen, um ihr gesellschaftliches Ansehen zu wahren und ihn vielleicht zur Heirat zu überreden. Bald erfahren wir, dass auch Joachim ein Opfer der Gesellschaft ist. Von seinem nahezu gleichgültigen Vater Otto Franck, der in der Rüstungsindustrie tätig ist, bekommt er fast täglich vorgesetzt, was für ein Versager er doch ist, wenn er die Waffengeschäfte verabscheut und sich lieber dem Schreiben widmet. "Du hast doch nichts zu erzählen! Du hast doch nichts erlebt!”, wirft er ihm an den Kopf und schnurstracks zieht der Sohn aus. Unterschlupf findet Joachim bei der Schauspielerin Sonja Lundi (Katharina Schüttler), die ihm den wichtigsten Rat mitgibt, was die Liebe anbelangt: „Du denkst zu viel.“ So wird Schritt für Schritt und mit vielen Umwegen geklärt, ob die beiden aus ihren Käfigen ausbrechen können und zueinander finden.

 Innerhalb der knapp 600 Minuten Laufzeit werden eine Menge der Probleme der damaligen Zeit problematisiert und heruntergebrochen auf den kleinen Kreis an Figuren erlebbar gemacht. Natürlich sind auch einige Klischees darunter und konzentriert auf so wenige Personen ist das ganze Drama ein wenig überspitzt. Nichts desto trotz bekommen wir hier ein sehr eindrückliches Bild der 1950er Jahre gezeichnet.
 Mit dem Einzug des Rock´n´Roll, der als "Negermusik" bezeichnet wurde, der zum "Sittenverfall" führe, kommt Aufbruchsstimmung und Dynamik in die Jugendlichen der Zeit. Bis die alten Nazis und Kriegsopfer von der Nachkriegsstimmung ablassen und in eine Zukunft blicken können, soll es aber noch eine Weile dauern. In Zeiten, in denen die Liebe unter Männern  gesetzlich unter Strafe stand und man versuchte, diese "Anomalitäten" mit Stromschlägen zu heilen und auch Schizophrenie mit dem Anschluss an den Minus- und Pluspol behandelt wurde, war der Platz der Frau einzig und allein in der Küche und ihre
Aufgabe eigentlich nur darin bestand, ihren Mann zufrieden zu stellen. Dazu gehörte, ihm sein Essen zuzubereiten, ihm das Bier zu bringen, wenn er danach fragte, Schläge und andere Formen der Gewalt stillschweigend hinzunehmen und sich auch sonst alles erdulden zu lassen. Einer bezahlten Arbeit durfte sie nur mit Erlaubnis des Mannes nachgehen und Scheidungen waren ein undenkbares Stigmata. So müssen die drei Schwestern bemerken, dass Wahrheit und Recht weit hinter dem schönen Schein, dem gesellschaftlichen Ansehen und unschuldigen Idolen verschwinden.

Nicht zuletzt durch die wunderbar realistischen Kulissen, den passenden Kostümen und der überragenden Schauspieler bekommen wir die Wirrungen einer aufregenden Zeit, die Aufbruchsstimmung, das Aufbegehren junger Mädchen gegen das biedere, festsitzende Frauenbild und von ihren Kampf um eine selbst bestimmte, weibliche Identität in einer bewegenden Geschichte in Spielfilmlänge serviert.

Hier noch der Trailer zum ersten Teil:

 
Tipp: Die ganzen Folgen findet ihr noch ein Jahr lang in der ZDF Mediathek
 


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