Samstag, 24. September 2016

Das Land der verlorenen Träume




Allgemeines:

Titel: Das Land der verlorenen Träume
Autorin: Caragh O´Brien
Verlag: Heyne Verlag (2012)
Genre: Science-Fiction
ISBN: 978-3453267282
Originaltitel: Prized
Seitenzahl: 464 Seiten
Preis: 16,99 € (gebundene Ausgabe)
8,99 € (Taschenbuch)
7,99 € (Kindle-Edition)
Weitere Bände: Die Stadt der verschwundenen Kinder;
Der Weg der gefallenen Sterne


Inhalt:

"Sylum war genauso schlimm wie die Enklave -
bloß dass die Frauen hier das Sagen hatten."

Die sechzehnjährige Gaia Stone, eine junge Hebamme, muss aus ihrer Heimat fliehen, mit nichts als den Kleidern am Leib und ihrer neugeborenen Schwester Maya im Arm. Alles wurde ihr genommen – sind doch ihre Eltern ermordet und die Liebe ihres Lebens verhaftet worden, und die zerstörte Welt, in der sie lebt, straft unbarmherzig jede Schwäche. Als ein Fremder sie mitten im Ödland vor dem Verdursten bewahrt, scheint sie zunächst gerettet. Doch das Dorf des Fremden nimmt Gaia erst die Schwester und dann auch noch die Freiheit. Verzweifelt und entmutigt gibt sie beinahe auf. Schließlich besinnt sich Gaia jedoch darauf, dass vor allem anderen das Leben zählt – und sie stellt sich ihrem Schicksal, ihrer Verantwortung für ihre Schwester und einer neuen, zarten Liebe …

 
 
Bewertung:

"Klammere dich nicht länger an ein Ideal, das hier niemals zu erreichen sein wird.
Fang wieder an zu leben, Gaia."

Direkt auf der ersten Seite wird man schon wie im Vorgängerband mitten in die Handlung hineingeschmissen. Gaia muss durch das Ödland fliehen und sucht den Ort auf, zu dem auch schon ihre Großmutter geflüchtet ist. Relativ schnell kommt sie auch dort an, doch es ist keineswegs besser als in der Enklave.
In Sylum herrschen nämlich die Frauen. Diese sind zwar in der Unterzahl, weswegen das Dorf auch auszusterben droht, aber Männer haben nichts zu sagen und fügen sich. Gaia kommt also vom Regen in die Traufe, denn natürlich kann sie sich mit Regeln, die ihr zuwider sind nicht anfreunden und rebelliert.

Den ersten Teil von Caragh O'Briens Geschichte um die Hebamme Gaia fand ich bereits klasse, aber der zweite Teil stellt den ersten jetzt noch einmal ordentlich in den Schatten. Die Autorin schafft hier eine unglaubliche Gemeinschaft, die in sich funktioniert und sogar logisch scheint, obwohl eigentlich alles in einem rebellieren will. Es ist schwierig dieses System zu hassen und man findet sich als Leser in einer Zwickmühle wieder. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was wohl der bessere Ort für Gaia und ihre Schwester Maya wäre, die Enklave mit ihrem kleinen Vorort oder Sylum?
Sylum ist das perfekte Beispiel für Unterdrückung. Doch dieses Mal sind es nicht die Männer, die die Frauen unterdrücken, sondern es ist genau andersherum. Die Männer sind in der Überzahl und auf die Frauen angewiesen, da nur wenige Mädchen geboren werden. Frauen sind dadurch ein so kostbares Gut, dass sie über das Dorf herrschen und die Entscheidungen für die Gemeinschaft treffen. An der Spitze dieser Gemeinschaft steht die Schwesternschaft, die sich in dem Mutterhaus aufhalten. Sie sind eine Art "Rat" die die Matrarch (das Oberhaupt der Gemeinschaft) beraten und bei ihren Entscheidungen helfen. Die Schwesternschaft und die Matrarch sind, wie viele andere Herrscher auch, in ihrer Meinung völlig festgefahren und sehen sich stets im Recht. Eine Meinung, die Gaia ins Wanken bringt. 


"Gaia konnte über diese plötzliche Zurschaustellung von Macht nur staunen. Die Matrarch beeinflusste die Menschen nicht direkt; was sie tat, war viel gewaltiger: Wie ein Blitzableiter bündelte sie das, was bereits in ihnen war, und gab ihm eine Richtung.”


Während des Lesens war ich so oft hin und her gerissen zwischen Abneigung gegen die Matrarch, Lady Olivia, die gewählte Anführerin Sylums, und Verständnis für sie und ihre Entscheidungen. Einfache schwarz/weiß Malerei gibt es in diesem Buch nicht, niemand ist einfach nur böse oder einfach gut, jede Figur wird so menschlich dargestellt wie nur irgendwie möglich und ich denke, genau das zeichnet diese Autorin auch aus. Während der erste Band klar eine Dystopie war, kann ich diesen Teil sehr schlecht kategorisieren. Sie entwirft einfach so authentische Figuren, man kann sich einfach jede einzelne in ihrem Handeln vorstellen, ich hatte alle Personen vor Augen, habe ihre Worte in meinem Kopf gehört. Und das schafft sie, ohne sich in zu viele Details zu verlieben, ohne dass es langatmig wird.

Gaia ist wieder genauso super wie im ersten Teil, sie entwickelt sich aber ordentlich weiter und wird noch erwachsener und reifer als zuvor. Obwohl sie in dieser Gesellschaft als Frau mit Kind und vor allem als Hebamme hoch anerkannt ist, rebelliert sie in ihrer Rolle und freundet sich gleich mit den Außenseitern an.
Die restlichen Charakter sind ebenso aufwändig und nachvollziehbar gestaltet. Es ist wirklich von allem etwas dabei, sodass ich zwischendurch sogar das Gefühl hatte, dass Gaia neben ihnen manchmal etwas blass wirkt.

Bei einem Spaziergang hört sie plötzlich Schreie und findet sich plötzlich mitten in einer Entbindung wieder. Josephine, eine Libbie, eine "Ausgestoßene", bekommt ihr Kind. Mit ihren Kenntnissen als Hebamme meistert Gaia die Entbindung erfolgreich. Und tatsächlich... Das erste Mal seit Jahren wird ein Mädchen in Sylum geboren! Die Kleine erhält den Namen Junie. Die zwei Mädchen sind einfach hinreißend, genau wie Peony, die sich zu ihrer Freundin im Mutterhaus entwickelt. Auch der nette Alte Norris, der im Mutterhaus kocht habe ich sofort ins Herz geschlossen.
Sie bekommt als eine der wenigen Frauen auch plötzlich einige Verehrer. Neben Chardo Peter hat auch dessen Bruder, Chardo Will, ein Auge auf sie geworfen. Dieses verzwickte Liebesdreieck entwickelt sich seltsamerweise auch bald zu einem Liebesviereck als Leon auftaucht. Natürlich kann sie sich nicht entscheiden, denn alle drei Männer sind wirklich Klassen dargestellt. Jeder ist komplett anderes, hat aber doch etwas für sich.

Chardo Peter, aufgewachsen in Sylum, ist einerseits bodenständig, andererseits aber auch abenteuerlustig. Er wird nur von allen Peter genannt und war mir von Anfang an sympathisch. Er hat Gaia sozusagen im Ödland gerettet und macht sich nun Hoffnung. Aber hat diese Liebe tatsächlich eine Chance?

Bei Chardo Will, eigentlich nur Will, entdeckt Gaia Gemeinsamkeiten, welche sie bisher noch bei niemanden entdeckt hat. Er ist intelligent und zurückhaltend. Er fordert Gaia nicht auf, auf seine Seite zu kommen und sich für ihn zu entscheiden. Nur einmal überschreitet er diese Grenze kurz und tritt sogleich den Rückzug an...
Die Autorin hat aus Leon in diesem Buch einen ganz anderen Charakter gemacht. Man zweifelt genau wie Gaia daran, ob man ihn jemals richtig gekannt hat. Er verhält sich unmöglich und die Magie zwischen ihm und Gaia ist wie weggeblasen! Zwar war der Konflikt in den Ansätzen sehr gut erklärt, aber die meiste Zeit war einfach sehr unklar, warum Leon sich nun so gegensätzlich verhält, was mich sehr verwirrte. Das fand ich wirklich schade, auch wenn alles sich am Schluss um etwa 360° wendet, wie ich schon verraten darf! Im Rückblick betrachtet, gefällt mir sein Verhalten sehr, da es realistischer ist als in gewissen anderen Büchern, in denen alle allen alles sofort verzeihen.

Der Schreibstil der Autorin bleibt auch hier wieder wunderbar lebendig und eindringlich. Man kann sich bestens in Gaia hinein versetzten und spürt ihre Ängste und Sorgen, um sich selbst und ihre Schwester. Genau wie sie, bangt man mit, freut sich, als sie endlich den Ort der Sicherheit erreicht hat, nur, um erneut vor den Kopf gestoßen zu werden. Die Geschichte baut direkt zu Beginn sehr viel Spannung auf und sofort findet man sich im Geschehen wieder. Die Idee der Stadt inmitten eines Ödland und all ihren Geheimnissen und Regel fand ich sehr gelungen. Als Leser findet man sich an einem Ort wieder, den man wie Gaia erst einmal verstehen muss und das fällt nicht leicht. Man ist geschockt und verärgert über die Zustände und das Leserherz schlägt eindeutig für Gaia als sie dem System dort den Kampf ansagt. Es ist wieder ein auktorialer (=allwissender Erzähler) und dieser hat mir in der Vergangenheitsform neben der Ausgestaltung des Plots auch alle Charaktere glaubhaft nähergebracht. Kleinere Unebenheiten, Disharmonien und Rechtschreibfehler haben mich kaum gestört, so gefesselt war ich.

Die Aufmachung ist wieder hübsch anzusehen. Wie schon beim ersten Teil sieht man die zwei, sich ansehenden Gesichter. Dass das Cover hier orange ist passt sogar zur Wüste und auch diese hellen Schlieren könnte man als aufgewirbelten Wüstensand deuten. Vergleicht man das aber nun mit dem Originalcover, dann kann das deutsche hier leider nicht mithalten. Allein, dass das Monokel hier abgebildet ist... Es hat einen Bezug zur Geschichte und ist zusätzlich auch schnell zu erkennen, weil es eher besonders ist als das deutsche Cover. Was mir sehr gut gefallen hat, sind wie schon im ersten Teil die vielen Rätsel und Codes, die es zu entschlüsseln gilt und bei deren Auflösung der Leser mitwirken darf.



Fazit:

Wer "Die Stadt der verschwundenen Kinder" gelesen und geliebt hat, wird von "Das Land der verlorenen Träume" noch mehr begeistert sein. Wieder einmal überzeugte mich O'Brien mit einer fesselnden Handlung, wunderbarem Schreibstil und glaubhaften Charakteren bis zur letzten Seite. 
Ich habe das Buch verschlungen und werde es in nächster Zeit bestimmt nicht wieder ausspucken!



Hier noch das Originalcover:

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